Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man nehme: dich und mich

Man nehme: dich und mich

Titel: Man nehme: dich und mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Bird
Vom Netzwerk:
begann die Führung in den Gästezimmern im ersten Stock, und Graves schien tatsächlich beeindruckt zu sein. Er verstand viel von Architektur und wusste die Kirschholzfußböden und die stuckverzierten Decken zu schätzen.
    “Und hier ist das Zimmer, in dem Abraham Lincoln übernachtete”, erklärte Frankie stolz. “Er verbrachte drei Tage in
White Caps
, auf Einladung meines Vorfahren Charles Moorehouse. Lincolns Dankschreiben hängt gerahmt an der Wand. Er beschreibt ausführlich den herrlichen Blick über den See und …”
    Sie öffnete die Tür und unterbrach sich erschrocken. Vor ihr kniete ihre Großmutter auf dem Boden und hackte mit einem großen Fleischermesser auf die Wand ein. Ihr apricotfarbenes Abendkleid war über und über mit Gipsbröckchen und Staub bedeckt.
    “Grand-Em!” Frankie stürzte sich auf sie und nahm ihr das Messer weg, bevor sie es noch einmal in die Wand rammen konnte.
    “Was soll das? Gib mir das wieder!”, protestierte Grand-Em herrisch.
    “Aber was machst du denn?”
    “Das geht dich nichts an. Das ist mein Zimmer, und ich kann hier machen, was ich will.”
    Offenbar wollte sie die Wand aufstemmen – was ihr angesichts ihres Alters und ihrer zierlichen Statur schon erstaunlich gut gelungen war.
    “Vielleicht sollen wir euch beide besser allein lassen”, schlug Mike diskret vor.
    “Danke, Mike. Du kennst das Haus ja auch, schaut euch einfach weiter um. Ich bin in etwa zehn Minuten wieder bei euch”, sagte Frankie erleichtert.
    “Lass dir Zeit”, erwiderte der Banker.
    Frankie schloss die Tür hinter den Besuchern und legte das Messer in die Nachttischschublade. Grand-Em versuchte inzwischen, mit bloßen Händen das Loch zu erweitern, und Frankie kniete sich neben sie und hielt sie sanft fest.
    “Was ist denn los?”, fragte sie freundlich und streichelte die knotigen Finger. “Was machst du hier?”
    “Ich kann ihn nicht finden!”, klagte Grand-Em.
    “Was suchst du denn?”
    “Meinen Ring.”
    “Welchen?”
    “Meinen ersten Verlobungsring.”
    Frankie drehte die Hand ihrer Großmutter um und strich über den kleinen Diamantring an ihrem Finger. “Aber er ist doch hier.”
    “Nein, nein, den ersten suche ich. Den, den mir Arthur Phillip Garrison gegeben hat.”
    “Du warst aber nie mit jemand namens Garrison verlobt.”
    “Das stimmt. Aber er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Das war 1941. Ich habe abgelehnt, weil er mir nicht sehr vertrauenswürdig vorkam, aber er war sehr selbstsicher und hat mir den Ring hiergelassen. Ich musste ihn vor Vater verstecken, sonst hätte er mich gezwungen, Arthur zu heiraten. Der arme Arthur, er ist kurz darauf gestorben. Ich habe den Ring behalten, weil in seinem Nachruf stand, dass er mit einer anderen verlobt war, und ich dachte mir, dass sie vielleicht lieber nichts von mir hören wollte.”
    Kopfschüttelnd hörte Frankie zu. Vor zwei Jahren hätte sie das vielleicht noch geglaubt, aber inzwischen brachte Grand-Em so viel durcheinander, dass sie oft Dinge, die sie irgendwo aufschnappte, als ihre eigene Geschichte ausgab. Wo sie wohl den Namen Garrison gehört hatte?
    “Grand-Em, wollen wir mal schauen, was Joy gerade macht?”
    “Nein. Nein. Ich will den Ring finden. Ich habe ihn in der Wand versteckt, damit Vater nichts erfährt.”
    Sanft versuchte Frankie, sie zum Aufstehen zu bewegen. “Komm doch mit.”
    “Nein, ich gehe nirgendwohin. Das hier ist mein Zimmer!” Mit erstaunlicher Kraft machte Grand-Em sich los.
    “Das hier ist ein Gästezimmer. Deins ist hinten im Haus.”
    Jetzt riss Grand-Em entsetzt die Augen auf, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. “Willst du etwa sagen, dass ich im Dienstbotenflügel wohne?”
    Frankie bemühte sich um Gelassenheit. “Erinnerst du dich nicht …” Nein, das brachte gar nichts. “Komm, wir suchen Joy.”
    “Ich habe hier zu tun.”
    “Es gibt keinen Ring, Grand-Em, außer dem, den du am Finger trägst.”
    “Soll das heißen, dass ich verrückt bin?”
    “Nein, ich …”
    “Du wirst mich einweisen lassen! Du lässt mich wegbringen!”
    “Aber nein, niemals”, sagte Frankie so ruhig wie möglich. “Das hier ist dein Zuhause.”
    “Ich lasse mich nicht ins Irrenhaus sperren!”
    Grand-Em kam mit erstaunlicher Flinkheit auf die Füße, verhedderte sich jedoch in ihrem langen Rock, stolperte und stieß einen Schrei aus. Frankie hechtete vorwärts und fing sie auf, bevor sie mit der Stirn gegen das Mahagonibett prallte. Doch Grand-Em wehrte sich mit

Weitere Kostenlose Bücher