Man nehme: dich und mich
Joy.
“Jemand war hier.”
Frankie zuckte zusammen, atmete tief durch und schaute zu den beiden neuesten Gräbern hinüber, die fast schon so verwittert aussahen wie die ältesten. In zehn Jahren waren Moos und Flechten auf den Steinen gewachsen, vor denen Nate jetzt stand.
Der Baum, der damals gepflanzt worden war, eine Hemlocktanne, überragte Nate um zwei Köpfe, und an seinem Stamm lag ein kleiner Strauß mit Blumen aus dem Garten des
White Caps
. Joy musste vor Kurzem hier gewesen sein.
Blicklos starrte Frankie auf die Blüten. Wie gern hätte auch sie ihre Trauer in so zivilisierter Weise gezeigt. Aber selbst nach zehn Jahren war sie dazu nicht fähig. Sie hatte ihre Gefühle verdrängt, aber sie waren dadurch nur noch stärker geworden, und wann immer sie an ihre Eltern dachte, schmerzte es so heftig und unbarmherzig wie damals. Vor allem konnte sie ihrem Vater nicht verzeihen, dass er so unvorsichtig gewesen war. Noch heute träumte sie manchmal davon, dass sie mit den Fäusten auf seinen Sarg einhämmerte und ihn mit Vorwürfen überschüttete.
Leise trat Nate neben sie. “Willst du lieber gehen?”
“Ich will wie meine Schwester sein”, platzte sie heraus. “Blumen hinlegen und mit den Grabsteinen sprechen.”
Sanft nahm er ihre Hand. “Du vermisst sie noch immer schrecklich.”
Sie lachte bitter. “Sie zu vermissen wäre eine Erlösung.” Sie wandte sich ab und ging mit großen Schritten los. “Komm jetzt, wir wollten doch auf den Berg.”
7. KAPITEL
Nate hatte Frankie von seinem Aussichtspunkt auf dem Berggipfel gut im Blick. Sie stand vor ihm auf einem Felsvorsprung und schaute auf den See hinunter. Die Hände hatte sie in die Hüften gestemmt, der Wind zauste ihr Haar und löste Strähnen aus ihrem Pferdeschwanz.
Ich hätte besser nicht zum Friedhof gehen sollen, dachte Nate.
“Tolle Aussicht”, bemerkte er.
“Ja, nicht wahr?”
Sie schien nicht außer Atem zu sein, obwohl sie beim Aufstieg ein bemerkenswertes Tempo vorgelegt hatte. Selbst auf den schwierigeren Wegstücken war sie nicht langsamer geworden.
“Willst du was essen?”, fragte er und öffnete die Papiertüte.
“Gute Idee. Ich habe wirklich Hunger.” Ihr Pferdeschwanz war nun völlig aufgelöst, sie hatte einen Schmutzstreifen am Hals und war bis zu den Knien schlammbespritzt.
Die schönste Frau der Welt, dachte Nate. Als sie zu ihm kam, hatte er auf einmal das Gefühl, sein Herz setze für ein paar Schläge aus und versuche dann, das Versäumnis in Rekordzeit aufzuholen. Er blinzelte überrascht.
Sie setzte sich neben ihn und streckte die Beine aus. “Ist alles okay? Hast du wieder Höhenangst?”
Nein, an der Höhe lag es diesmal nicht, sondern nur an dem, was er gerade gespürt hatte. Hätte er nicht schon als Teenager einmal Herzklopfen haben müssen beim Anblick eines Mädchens? Aber da war ihm das nie passiert. Und was er jetzt empfand, war viel mehr als sexuelles Verlangen. Seltsam.
“Was ist denn los?”, fragte Frankie.
“Nichts, alles bestens.” Er zwang sich zu einem Lächeln.
Sie schaute ihn prüfend an und hielt dann das Gesicht in die Sonne. “Na, dann lass mal sehen, was du uns Schönes eingepackt hast.”
“Ich habe ein neues Rezept ausprobiert. Hier.” Er reichte ihr ein Stück Apfeltarte. “Äpfel mal herzhaft, mit Ziegenkäse. Die Kombination gefällt mir.”
Frankie wischte sich die Hände an den Shorts ab, nahm einen Bissen und kaute langsam. Es machte ihm Spaß, ihr dabei zuzusehen, wie sie etwas aß, das er gekocht hatte.
“Schmeckt gut”, sagte sie schließlich.
Er grinste. “Ich weiß.”
“Eingebildet bist du gar nicht, was?”
Auch er nahm sich nun ein Stück. “Doch, ein bisschen”, gab er zu. “Aber ich würde dir nie weniger als das Beste anbieten.”
“Aha, du willst also den Boss beeindrucken?”
Nein, die Frau, dachte er, doch laut antwortete er: “Vielleicht.”
“Es schmeckt wirklich toll”, lobte sie und griff nach einem weiteren Stück. “Soll das auch mit auf die neue Speisekarte?”
“Nein, ich glaube nicht. Es soll nur ein paar Gerichte geben, und alle aus der französischen Küche. Zwei mit Huhn, zwei mit Fisch, zwei mit Fleisch. Und bevor wir nicht regelmäßig mehr Gäste haben, gibt’s auch keine Dessertkarte. Da müssen die Leute einfach das nehmen, was es gerade gibt.”
“Ich hoffe wirklich, dass dieser Sommer besser läuft als letztes Jahr”, seufzte sie.
“Aber du denkst dran, zu verkaufen, oder?”
“Was? Nein,
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