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Man tut, was man kann (German Edition)

Man tut, was man kann (German Edition)

Titel: Man tut, was man kann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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bleierne Müdigkeit überfällt. Die durchzechte Nacht und der Arbeitstag fordern ihren Tribut. Während mir die Augen zufallen, denke ich noch, dass ich jetzt nicht einschlafen darf.
    Als ich aufwache, sehe ich vor mir im Schein einer Taschenlampe das Engelsgesicht von Dr.   Jasper, so nah, dass mich ihre dunklen Locken fast berühren. Im selben Moment weicht ihr Gesicht zurück.
    «Was machen Sie denn noch hier?» Sie fragt es freundlich, aber auch ein wenig erstaunt.
    «Ich … ähm … Entschuldigung», murmle ich und versuche mich zu sammeln.
    «Ist schon gut», sagt sie. «Aber wissen Sie, wie spät es ist?»
    Ich schüttle den Kopf.
    «Weit nach Mitternacht.»
    Ich versuche, mich ein wenig zu strecken, ein paar Knochen knirschen leise. Vermutlich werde ich mich nie wieder von der Kiste erheben können.
    «Ich wollte eigentlich mit ihm spazieren gehen», erkläre ich, «aber es geht ihm wieder schlechter.»
    Das Engelsgesicht nickt. «Ja. Er hat einen schweren Rückfall. Ich bin nicht mal sicher, ob er die Nacht überlebt.»
    «Ich dachte, es wäre nur eine Mageninfektion», erwidere ich und bin jetzt doch ein wenig in Sorge.
    «Rein medizinisch gesehen ist er nicht in Lebensgefahr, aber er ist psychisch nicht auf der Höhe.»
    «Sie meinen, er lässt sich hängen?», entgegne ich erstaunt.
    Sie nickt. «Ja. So könnte man es sagen.»
    «Aber warum?»
    «Ich weiß es nicht», erwidert sie. «Vielleicht hat er keine Lust mehr, hier allein im Tierheim rumzuhängen und darauf zu warten, dass ihn eines Tages jemand rausholt, dem er nach ein paar Tagen dann doch zu problematisch ist, woraufhin alles wieder von vorne beginnt.»
    «Toll», sage ich und fahre mir mit der Hand durchs Haar. «Mein Hund ist nicht nur gemeingefährlich, sondern auch noch lebensmüde.»
    Ich glaube, im Dunkeln ein Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. «Vielleicht sollten Sie ihn ein paar Tage zu sich nehmen. Nur bis er wieder gesund ist, meine ich. Es würde ihm helfen, Sie scheint er ja zu mögen.»
    Ich schaue zu Fred, der auf seiner fleckigen Decke liegt und schläft wie ein Stein. Ja, könnte ich machen, aber irgendwie habe ich so schon genug Scherereien. Vermutlich zerlegt er mir die Einrichtung. Oder er kläfft Tag und Nacht. Und was soll ich tagsüber mit ihm machen? Ich kann ihn ja schlecht mit ins Büro nehmen. Womöglich wird er Frau Hoffmann zerfleischen, und dann ist es nicht mehr mit einem Blumenstrauß getan.
    «Und was machen Sie noch hier?», wechsele ich das Thema.
    «Arbeit», erwidert sie knapp. «Und ein paar Notfälle.»
    Ich nicke und verstehe im nächsten Moment, warum sie zu diesem Zwinger gekommen ist. «Wollten Sie ihn gerade untersuchen?»
    Sie nickt. «Eigentlich schon. Aber lassen Sie ihn schlafen. Es ist gut, wenn er schläft, dann kann er Kräfte sammeln.»
    Ich erhebe mich vorsichtig und strecke meinen schmerzenden Rücken, so gut es geht. «Tja, dann werd ich mal …»
    «Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?», fragt sie.
    Ich stutze, damit hatte ich nicht gerechnet. «Hätten Sie eventuell auch einen Tee?», frage ich vorsichtig.
    Sie nickt, lächelt ein wenig, aber im Halbdunkel kann ich nur erahnen, wie umwerfend das aussieht.
    Wenig später sind wir in ihrem Büro. Nur die Schreibtischlampe brennt und taucht das Zimmer in ein schummriges Licht. Der Raum wirkt nicht wie das Hauptquartier einer Veterinärin, eher wie der nächtliche Arbeitsplatz einer Künstlerin. Es herrscht eine angenehme Unordnung, zwischen den Papieren liegen die Reste eines Nachtmahls, eine angebrochene Tafel Schokolade, eine fast leere Packung Kekse.
    Sie erscheint mit den Tassen, drückt mir eine in die Hand. «Zucker?»
    Ich schüttele den Kopf. Sonst sehr gerne, aber gerade ist mir selbst das Rühren zu anstrengend.
    Sie setzt sich hinter den Schreibtisch, stellt ihre Tasse ab, greift zu Keksen und Schokolade und hält beides fragend in die Höhe. Als ich erneut den Kopf schüttele, zuckt sie mit den Schultern, nimmt einen Keks, beißt ein großes Stück ab und betrachtet nebenbei ein vor ihr liegendes Papier.
    «Sie umgeben sich gerne mit Tieren», sage ich nach einer kurzen Weile und schreibe diesen arg blödsinnigen Satz dem Umstand zu, dass ich erst seit kurzem wach und im Grunde völlig übermüdet bin.
    «Sie meinen, warum ich Veterinärin geworden bin?», fragt sie.
    Ich nicke. Danke fürs Umdichten, liebe Iris.
    «Ich weiß nicht», antwortet sie und blickt in ihre Tasse. «Der Job hat mich einfach

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