Man tut, was man kann (German Edition)
hervor und beherrscht sich sichtlich, um nicht die Fassung zu verlieren, «ich arbeite seit über vierzig Jahren als Sekretärin und habe für eine ganze Reihe von Alkoholikern gearbeitet, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, jemals auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Wie Sie wissen, gehöre ich zur alten Schule, und es enttäuscht mich maßlos, wenn Sie auch nur im Mindesten an meiner Loyalität zweifeln.»
Das hat gesessen. Ich bin sprachlos.
Frau Hoffmann steht auf, strafft sich. «Ihr neuer Fahrer wartet draußen, ich dachte, Sie möchten ihn vielleicht kennenlernen», sagt sie mit Grabeskälte in der Stimme.
Da ich die Situation im Moment ohnehin nicht entschärfen kann, erwidere ich: «Schicken Sie ihn bitte herein», und sehe der maßlos enttäuschten Frau Hoffmann dabei zu, wie sie aufrechten Hauptes mein Büro verlässt.
Mit ein wenig Nachdenken hätte ich auch selbst darauf kommen können, dass Frau Hoffmann mir niemals einen solchen Prospekt untergejubelt hätte. Als sie zur Sekretärin ausgebildet wurde, da tranken Chefs doppelte Weinbrände, weil der erste Kaffee damit besser schmeckte, und auf Intensivstationen durfte noch geraucht werden. Homosexualität hielt man für eine Krankheit, Alkoholismus für ein Hobby. Und Sekretärinnen waren dazu da, volltrunkene Wirtschaftskapitäne vor der Öffentlichkeit zu schützen und ihre Affären zu koordinieren. Deshalb auch die Vorzimmer.
Da werden wohl ein sehr großer Blumenstrauß und eine sehr große Entschuldigung fällig sein, denke ich, lasse den Rundbrief der Anonymen Alkoholiker und die Flasche Wein in meinem Schreibtisch verschwinden und erhebe mich in genau dem Augenblick, als mein Fahrer vor mir steht.
«Guten Tag, es freut mich sehr, Sie kennenzulernen», sagt er, lächelt freundlich und streckt mir die Hand entgegen.
Ich mache ein ähnlich erstauntes Gesicht wie an jenem Tag, als ich erfuhr, dass mein Aktiendepot das Platzen der Dotcom-Blase etwa so gut überstanden hatte wie Pearl Harbor den Angriff der Japaner, und ergreife die Hand des vor mir stehenden Mannes. Es ist Kathrins Bruder Bronko, der Mann, der keine nackten Frauen zeichnen kann.
«Bronko Steiner», sagt er und liest das fortgesetzte Erstaunen in meinem Gesicht. «Ähm … kennen wir uns vielleicht?»
Leugnen hat keinen Sinn, ich nicke. «Paul Schuberth, ich war kürzlich auf einer Ihrer Vernissagen.»
«Oh», erwidert Bronko, und es klingt wie eine Mischung aus Erstaunen und Bedauern. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber, wenn ich nichts von seinen künstlerischen Aktivitäten wüsste. Mir wäre es auch lieber, denn im Moment fällt mir keine Frage ein, die Bronkos Malerkarriere betrifft und ihn nicht brüskieren würde. Die Tatsache, dass er in den nächsten Monaten einen Trunkenbold wie mich durch die Gegend kutschieren muss, spricht nicht für seinen künstlerischen Durchbruch. Offenbar hat weder die Staatsgalerie bei ihm angeklopft, noch hat er auch nur ein einziges Bild verkauft.
Ich wechsle rasch das Thema. «Setzen Sie sich doch bitte. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?»
«Danke nein.» Es setzt sich, blickt links an mir vorbei zum Flipchart und rechts an mir vorbei aus dem Fenster. Ich ahne, das werden keine leichten Monate.
«Ich glaube, Sie kennen meine Schwester Kathrin, nicht wahr?»
Gut, Bronko, dann sind wir jetzt quitt. Ich weiß, dass du nicht malen kannst, du weißt, dass ich deine Schwester gevögelt habe.
Ich nicke. «Ja, wir … kennen uns.»
Ich stelle gerade fest, dass Bronkos linkes Auge mich hin und wieder ansieht. Das rechte scheint dem linken hinterherzuflattern. Vielleicht ist das ähnlich wie bei einem Gewehr, denke ich, Kimme und Korn, links ist bei Bronko die Kimme, rechts das Korn. Ich konzentriere mich auf Bronkos linkes Zielauge und habe das Gefühl, nun ungefähr erahnen zu können, wen oder was er gerade ansieht.
«Gut, was also soll ich tun?», fragt Bronko.
«Hat Ihnen Frau Hoffmann das nicht gesagt?»
«Doch, schon. Aber wenn ich auf Sie warte, könnte ich doch auch Kleinigkeiten erledigen, Besorgungen oder so. Das macht mir nichts aus. Im Gegenteil, dann langweile ich mich wenigstens nicht.»
Keine schlechte Idee. Ich überlege, wann mir in den letzten zehn Jahren schon mal ein ähnlicher Fall von Eigeninitiative untergekommen ist, aber mir fällt keiner ein. Ich nicke anerkennend. «Gut, dann besorgen Sie doch bitte einen großen Strauß Blumen für meine Sekretärin, bunt gemischt, aber keine Rosen.» Ich
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