Man tut, was man kann (German Edition)
abgewöhnen muss, weil Bronko ja nur seh- und nicht sprachbehindert ist. Insofern brauche ich ihm nicht andauernd zu signalisieren, dass ich seine problemlos zu verstehenden Gesprächsbeiträge auch tatsächlich verstanden habe. «Und Ihr Freund wohnt hier in der Nähe.»
«Eigentlich nicht», sagt Bronko und biegt in meine Straße ein. «Er wohnt etwas außerhalb. Also genau genommen auf dem Land.»
Weil ich Bronko zu einer halben Nachtschicht gezwungen habe, meldet sich mein Gewissen. «Und es ist kein Problem, wenn Sie so spät noch bei Ihrem Freund aufkreuzen?»
«Ich glaube nicht», erwidert Bronko. «Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, weil ich leider auch kein Handy mehr besitze. Ich habe ihm noch nicht sagen können, dass ich später komme. Aber das ist sicher kein Problem.»
Der Wagen hält, ich krame mein Handy hervor. «Nehmen Sie meins», sage ich, reiche ihm das Gerät nach vorne und steige aus, damit er in Ruhe telefonieren kann.
Ich sehe nach, ob ich Zigaretten dabeihabe, was natürlich nicht der Fall ist, denn ich will es mir ja abgewöhnen. Jetzt gerade hätte ich gerne eine Zigarette, denn dann könnte ich mich von dem Gefühl ablenken, ein Arschloch zu sein. Mein Fahrer, der stundenlang auf mich gewartet hat und offenbar ein netter Kerl ist, hat keine Bleibe, ich werde gleich in meine Wohnung gehen, in der man problemlos einen Opernchor unterbringen kann, komme aber nicht auf die Idee, ihm ein Bett anzubieten. Bei seinem Fahrstil wird er vermutlich Stunden brauchen, um zu seinem Freund zu gelangen, und Stunden zurück. Wenn er überhaupt ein paar Minuten Schlaf bekommt, hat er Glück gehabt. Da ich außerdem bereits mit seiner Schwester geschlafen habe, gehört Bronko quasi zur Familie. Was spricht also verdammt nochmal dagegen, ihm ein Bett anzubieten?
Die Wagentür wird geöffnet, Bronko erscheint, reicht mir über das Autodach hinweg mein Handy. «Alles okay. Danke fürs Leihen.»
Er sieht mich an, und sein Blick flattert links und rechts an mir vorbei. Er versucht einen möglichst entspannten Eindruck zu machen. Da sein Zielauge mich nicht fixiert, ahne ich, was gerade passiert. Bronko lügt. Nichts ist in Ordnung. Der Freund ist nicht da oder will ihn nicht sehen, aber Bronko möchte mir keine Scherereien machen. Er wird unter irgendeiner Brücke oder in meinem Auto pennen und morgen so tun, als hätte er eine entspannte Nacht auf dem Lande verbracht.
«Sie können bei mir übernachten», sage ich und sehe im gleichen Moment, dass Bronkos Zielauge auf mein Gesicht zoomt. «Bei Ihrem Freund können Sie doch nicht bleiben, oder?»
Ein kurzes Schweigen.
«Na ja … er hat gerade ein paar kleine familiäre Probleme», erwidert Bronko zögerlich.
«Aha», sage ich.
«Eigentlich kommt er im Moment selbst nicht ins Haus, weil seine Frau ihn rausgeworfen hat. Aber sobald sie nicht mehr auf ihn schießt, wenn er sich dem Haus nähert, kann ich vorbeikommen.»
«Aber das kann ja die ganze Nacht dauern», entgegne ich so vernünftig, als würden wir hier gerade tatsächlich ein vernünftiges Gespräch führen.
«Stimmt», sagt Bronko nachdenklich.
«Also», erwidere ich. «Schließen Sie den Wagen ab. Meine Wohnung ist groß genug. Außerdem bin ich ja schuld daran, dass es so spät geworden ist.»
«Okay», sagt Bronko schließlich und lässt mit der Funkfernbedienung die Autotüren zuschnappen. «Danke.»
FEIN
Wer hätte es gedacht, Schamski ist noch wach.
«Bronko, Guido – Guido, Bronko. Und ich bin übrigens Paul. Es ist mir zu blöd, in den eigenen vier Wänden jemanden zu siezen. Das können wir im Verlag machen, da siezen Guido und ich uns nämlich auch.»
«Freut mich, ich bin Bronko», sagt Bronko, als hätte ich das gerade zu erwähnen vergessen. Dann setzt er sich etwas zögerlich an den Tisch, wo Schamski bereits eingießt. Unter den Akten, die er gerade sichtlich lustlos studiert, finden sich etwas später ein halbvoller Käseteller und etwas Brot.
«Auf der Durchreise?», fragt Schamski.
Bronko schüttelt den Kopf. «Obdachlos.»
«Ist nichts Besonderes, das sind wir hier eigentlich alle», erwidert Schamski, und ich vermute, dieser für ihn ungewöhnliche Hang zur Philosophie hat einen handfesten Grund.
«Irgendwas passiert?», frage ich.
Schamski nickt. «Katja hat mich verlassen, weil sie findet, ich soll zuerst die Sache mit meiner Frau regeln, und meine Frau will die Scheidung einreichen, es sei denn, ich regle zuerst die Sache mit Katja.»
«Dann gibt’s
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