Man tut, was man kann (German Edition)
interessiert.» Sie sieht mich nachdenklich an. «Ja, er hat mich einfach interessiert. Ich glaube, das ist schon alles.»
Einen kurzen Moment halte ich ihrem Blick stand, dann habe ich die Befürchtung, in ihren Augen zu ertrinken, und wende nun meinerseits den Blick zur Tasse.
«Und Sie? Was machen Sie so?»
«Einen Bürojob», erwidere ich. «Nichts Besonderes.»
Wieder schweigen wir eine kurze Weile.
«Sie reden nicht gerne viel, oder?», sagt sie dann.
«Doch», sage ich. «Eigentlich schon. Aber gerade bin ich ein bisschen maulfaul. Außerdem ist es ja auch ganz nett, mit Ihnen zu schweigen.»
Sie sieht mich an und lächelt. Ich erwidere ihr Lächeln vorsichtig. Fast könnte man denken, wir würden miteinander flirten. Das ist natürlich Unfug, weil sie bald heiraten wird und ich wahrscheinlich aussehe wie die Hauptfigur aus dem Film «Die Mumie».
«Sie sehen ein bisschen müde aus», sagt sie und bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen.
«Ich habe letzte Nacht nicht geschlafen», gestehe ich. «Deshalb sind mir eben auch die Augen zugefallen.»
Sie nickt fast unmerklich, hakt nicht weiter nach und schiebt sich den Rest ihres Kekses in den Mund. Ein paar Krümel bleiben an ihren Lippen hängen, sie wischt sie mit dem Zeigefinger weg, was umwerfend attraktiv aussieht.
Irgendwo auf dem Gelände ist ein kurzes Jaulen zu hören, und ich denke an meinen lebensmüden Hund, der jetzt allein auf einer alten Decke in seinem Zwinger liegt und die Nacht zu überleben versucht.
«Denken Sie, ich sollte heute Nacht hierbleiben?»
Sie sieht auf, wirkt für einen kurzen Moment irritiert. Ich realisiere im gleichen Augenblick, dass der Satz auch ganz gut von einem psychopathischen Serienkiller stammen könnte, den es durch Zufall allein mit seinem nächsten Opfer in ein nächtliches Tierheim verschlagen hat.
«Ich meine, ich kann Felix ja schlecht jetzt mitnehmen, oder?», ergänze ich schnell.
«Nein», erwidert sie, und ich glaube einen Anflug von Erleichterung in ihrem Gesicht zu sehen.«Er sollte jetzt schlafen. Aber vielleicht können Sie morgen früh vorbeischauen. Dann hat er nicht das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein.»
«Werde ich machen», sage ich, stelle meine leere Tasse auf dem Schreibtisch ab und rappele mich auf. «Danke für den Tee.»
«Gerne», erwidert sie. «Gute Nacht.»
«Gute Nacht.»
«Paul?», sagt sie, als ich bereits die Klinke in der Hand habe. Dass sie mich mit meinem Vornamen anspricht, sorgt bei mir für leichtes Herzflattern. Ich wende mich ihr nochmal zu.
«Danke, dass Sie sich um Felix kümmern.» Sie schenkt mir ein zartes Lächeln.
Ich lächle zurück, so gut es geht. «Mach ich gern.»
Der Blick, den wir tauschen, ist vielleicht eine Sekunde länger als Blicke, die Veterinärinnen und ehrenamtliche Hundeausführer gewöhnlich tauschen, und in diesem Augenblick verstehe ich, warum Günther solche Momente bis ins kleinste Detail analysiert.
Ich nehme mir fest vor, das nicht zu tun, aber als ich in die Nacht hinaustrete frage ich mich, ob sie da gerade doch ein wenig mit mir geflirtet hat. Bereits auf dem Parkplatz habe ich mich aber wieder im Griff, weil ich mir die Worte «so gut wie verheiratet» immer wieder vergegenwärtige.
Bronko wartet auf mich. Er ist ebenfalls eingeschlafen und schreckt hoch, als ich vorsichtig gegen die Scheibe klopfe. Es ist mir peinlich, ihm gleich am ersten Arbeitstag den Feierabend versaut zu haben, zumal seine Entlohnung alles andere als fürstlich ist und solche extremen Überstunden eigentlich nicht rechtfertigt. Ich erkläre, was passiert ist, und entschuldige mich wortreich. Bronko nimmt’s gelassen. Er hat ohnehin nichts vorgehabt. Außerdem ist das hier ja sein Job.
Es ist angenehm, mit dreißig Stundenkilometern durch die Nacht zu rollen. Ich öffne das Fenster und lasse mir die Luft um die Ohren wehen.
«Haben Sie einen weiten Heimweg?», frage ich, um irgendwas zu sagen.
«Nicht direkt», antwortet Bronko. «Ich wollte bei einem Freund übernachten.»
«Verstehe», sage ich. «Und wo wohnen Sie eigentlich?»
Er schweigt kurz. «Eigentlich habe ich momentan keine eigene Wohnung», sagt er dann etwas gedehnt.
Jetzt schweige ich.
«Ich hab mein letztes Geld in die Vernissage gesteckt. Ich hatte gehofft, wenigstens ein Bild zu verkaufen, dann hätte ich die Mietschulden bezahlen können. Hat aber leider nicht geklappt.»
«Verstehe», sage ich erneut und denke im nächsten Moment, dass ich mir das rasch
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