Man tut, was man kann (German Edition)
negra» anstimmen und offenbar ein Faible für Juanes haben, mache ich mich auf den Weg zum Bad, wo sich Rodriguez verbarrikadiert hat und gerade von der tränenüberströmten Biggi angefleht wird, die Tür zu öffnen. Zwar spreche ich nur ein paar Brocken Spanisch, aber gerade fällt mir auf, dass ein Lied über einen Mann, der sein schwarzes Hemd anzieht, weil er von der Liebe seines Lebens bitter enttäuscht worden ist, die Situation vielleicht unnötig verschärfen könnte. Ich bedeute den Musikern, Schluss zu machen, und scheuche sie aus der Wohnung, was mich einen ordentlichen Batzen Trinkgeld kostet.
Dann klopfe ich an die Badezimmertür. «Rodriguez, hier ist Paul. Machen Sie bitte auf.»
Schweigen.
«Bitte, machen Sie auf», wiederhole ich und versuche, so ruhig und verbindlich zu klingen, wie ich es von umsichtigen Polizisten aus dem Fernsehen kenne.
«Was wollen Sie?» Sein spanischer Akzent gibt den Wörtern etwas Schneidendes. «Sie haben mir meine Liebe genommen. Mein Leben. Sie haben mir das Herz aus dem Leib gerissen. Sie haben mich für immer in den Staub getreten. Was wollen Sie noch?»
Zumindest ahne ich nach diesen Worten, warum Rodriguez eine Vorliebe für Juanes hat. Biggi sieht mich unter Tränen an. Ich nehme einen Funken Hoffnung in ihren Augen wahr, dass es mir gelingen könnte, Rodriguez zur Vernunft zu bringen. Ich weiß zwar noch nicht wie, werde aber mein Bestes geben.
«Es ist nicht so, wie Sie denken», sage ich, weil mir gerade nichts Besseres einfällt. Biggi sieht mich erstaunt an.
Rodriguez schweigt. Ich überlege angestrengt, welche Geschichte ich ihm auftischen könnte. Vielleicht schlicht die Wahrheit. Die lautet: Biggi will ihn, er will sie ebenfalls, das heute war nur ein unglücklicher Zufall, und wir vergessen das alles möglichst schnell. Klingt ebenso plausibel wie an den Haaren herbeigezogen. Ich denke an eine Theorie, die ich mal gehört habe und der gemäß eine Geschichte umso glaubwürdiger erscheint, je unwahrscheinlicher sie klingt.
«Ich bin Biggis Mann», höre ich mich dann sagen und sehe in Biggis weit aufgerissene Augen. «Vor knapp drei Jahren bin ich im Ausland entführt worden. Man dachte, die Entführer hätten mich ermordet, aber ich konnte fliehen …»
Rodriguez schweigt, was ich jetzt mal als gutes Zeichen werte, denn er könnte mich ja alternativ auch fragen, was ich ihm da gerade für eine völlig schwachsinnige Geschichte auftische. Biggi sieht mich immer noch mit großen Augen an, wobei sie jetzt eher interessiert daran scheint, zu erfahren, wie es mir denn in der Zwischenzeit so ergangen ist, also speziell nach der Entführung kurz nach unserer Hochzeit.
«Jedenfalls bin ich fast zwei Jahre durch die Welt geirrt, um dann mit einem neuen Namen, einem neuen Pass und einer neuen Biographie hier zu landen. Ich wusste nicht, wo Biggi ist. Ich habe sie gesucht, aber nicht gefunden. Wir haben uns dann zufällig getroffen, und schon sehr bald habe ich die bittere Erkenntnis gewinnen müssen, dass ihr Herz jetzt einem anderen gehört.» Kleine Kunstpause. «Dir, Rodriguez.»
Ich warte einen Moment. Vielleicht reagiert er ja doch noch. Tatsächlich hört man nach einer kurzen Weile das leise Knacken des Schlüssels im Schloss. Die Tür öffnet sich, und vor mir steht Rodriguez, aufgewühlt, verheult und ergriffen. «Ist das wahr?», fragt er.
Na ja, streng juristisch betrachtet wohl eher nicht, aber metaphorisch gesehen würde ich mit etwas Zeit sicher einen wahren Kern in meiner Geschichte finden.
Ich nicke, bemüht um einen möglichst zermürbten Eindruck. «Ich wollte Biggi noch einmal ganz nah sein, um dann für immer aus ihrem Leben zu verschwinden, damit ihr beide glücklich werden könnt. Verstehst du, Rodriguez? Sie hat es nur aus Liebe zu dir getan.»
Als Rodriguez zu der immer noch am Boden kauernden Biggi hinabblickt, habe ich Gelegenheit, mein Gesicht ein wenig zu entspannen. Ich merke gerade, dass es doch ziemlich anstrengend war, einen Lachanfall zu unterdrücken. Möge das Schicksal es fügen, dass Rodriguez niemals im Leben die Folge jener Seifenoper sieht, der ich die bescheuerte Entführungsstory entlehnt habe.
Rodriguez beugt sich zu Biggi hinab, umfasst ihre Taille und zieht sie sanft zu sich hoch. «Ist das wirklich wahr, mein Augenstern? Hast du es aus Liebe zu mir getan?» Er sieht ihr in die Augen, Biggi nickt und wirkt ebenso verschüchtert wie ungläubig.
«Glaub mir, Rodriguez, Biggi wünscht sich nichts
Weitere Kostenlose Bücher