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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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wissen, wenn wir dort sind.« Er legt eine Hand auf meinen Arm. »Bereit?«
    Ich schließe meine Augen. Als ich sie wieder öffne, überkommt mich sogleich ein Gefühl der Desorientierung. Ich bin von Erde umgeben, irgendwo in den Wäldern.
    »Alex?« Ich kann seine Hand nicht mehr spüren; ich sehe ihn nicht mehr. »Wo sind wir?« Allmählich wird mir mulmig.
    Als er spricht, klingt es, als wäre er weit entfernt. »Ich möchte, dass du dir eine Erinnerung suchst«, sagt er. »Was immer dir in den Sinn kommt. Schließ einfach die Augen und lass dich darauf ein.«
    »Wo sind wir?«
    »Hier bin ich gestorben.« Der Ort ist kalt und trostlos; die Erde um mich herum ist feucht und mit toten Blättern und Zweigen übersät. Die Äste der Bäume hängen tief herab. Mich beschleicht ein grässliches Gefühl. Ich habe Angst vor dem, was ich gleich sehen könnte.
    »Schließ die Augen«, sagt er; noch immer scheint seine Stimme von weither zu kommen. »Ich werde hier sein, Liz. Ich werde auf dich warten. Geh.«

21
    Ich bin allein in dieser Erinnerung; Alex ist nirgends zu sehen. Sofort fällt mir auf, dass ich anders aussehe. Ich bin jünger, gewiss, aber das ist nicht alles: Ich bin mindestens acht Kilo schwerer als in den Wochen vor meinem Tod. Mein langes, blondes Haar ist voller Leben und Spannkraft. Meine Wangen sind gerötet.
    Und ich bin betrunken. Ich stehe in der Eingangshalle von Carolines Elternhaus, habe meine Handfläche gegen die Stirn gepresst und starre zur Decke empor. Als ich meinem Blick folge, sehe ich, dass ich einen riesigen, funkelnden Kristallkronleuchter betrachte. Meine Augen sind zu Schlitzen zusammengekniffen; ich versuche, mich trotz des Durcheinanders um mich herum auf das Licht zu konzentrieren. Im ganzen Haus wimmelt es von sich wiegenden Körpern, von tanzenden, gegeneinanderstoßenden Jugendlichen; alle haben große, rote Plastikbecher in der Hand, auf die mit schwarzem Marker ihre Namen geschrieben stehen.
    »Oh, Gott«, keuche ich und schwanke leicht, während ich dort stehe; ich halte meinen Becher so schief, dass ich den Inhalt zu verschütten drohe. Niemand kann mich hören; niemand merkt, dass mir nicht gut ist. Aus den Lautsprechern im Wohnzimmer plärrt Sublimes »40Ounces of Freedom«; der Lärm erfüllt das gesamte Erdgeschoss. Die Musik – fröhliche Rockmucke – steht in deutlichem Widerspruch zu Carolines ansonsten eher vornehmem Zuhause. Die Tapete in der Eingangshalle ist mit dunkelgrünem Efeu gemustert. Die Böden bestehen aus dunklem, teurem Hartholz, bedeckt von antiken Orientteppichen. An der Wand neben der Vordertür steht tatsächlich ein Brunnen, mit einem steinernen Engel, der stumm und erhaben das Partygeschehen verfolgt; Wasser fließt in das Becken, das die niedlichen, bloßen Füße der Figur umgibt.
    »Da bist du ja, Liz! Ich habe überall nach dir gesucht … oh, nein. Was ist los?« Es ist Josie. Meine Stiefschwester ist ziemlich aufgedreht, hält ihren eigenen Becher in der Hand und sieht mich mit großen, neugierigen Augen an, mit dem glasigen Blick eines Menschen unter Alkoholeinfluss.
    »Ich weiß nicht recht. Mir ist schlecht«, erkläre ich ihr und gehe einen Schritt nach links, auf das Esszimmer zu. Wir müssen brüllen, um einander zu verstehen.
    »Liz, dreht sich der Raum? Such dir etwas aus, auf das du dich konzentrierst. Mach die Augen nicht zu.«
    Sie versucht, mir zu helfen, aber ich tue ihren Rat mit einem verärgerten Winken ab, während ich einen weiteren Schritt in den Raum hinein gehe. »Das ganze Haus dreht sich«, brülle ich.
    »Was ist?«, ruft sie zurück.
    »Ich sagte, das ganze Haus … Vergiss es.«
    »Wo willst du hin?« Josie ist dicht hinter mir, ihre Hand auf meinem Handgelenk. »Musst du dich übergeben?«
    Ich nicke. Im Esszimmer ist es wesentlich stiller. In meiner Miene zeigt sich offenkundige Erleichterung, als sich die Umgebung ändert und merklich ruhiger wird.
    »Geh ins Bad.« Sie zeigt mit dem Finger darauf. »Den Flur runter.«
    »Ich weiß, wo das Bad ist«, sage ich und stütze mich mit den Händen auf den Knien ab. Mein Becher neigt sich zur Seite, und schaumiges Bier ergießt sich auf den Orientteppich unter mir. »Warum ist das so weit weg? Wo ist Richie? Josie, könntest du gehen und Richie …«
    Ich trage Zehn-Zentimeter-Absätze, die es fast unmöglich machen, gerade zu gehen. Ich mache noch einen weiteren torkelnden Schritt nach vorn, und dann übergebe ich mich mit Macht auf den Teppich.
    »Verdammt! Liz

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