Manche Maedchen muessen sterben
meine Schlüssel. Mit Richie auf den Fersen, nähern wir uns der Haustür. Gerade, als ich mich anschicke, uns zu folgen, höre ich, wie Caroline leise murmelt – außer Hörweite meines lebendigen Ichs: »Wir haben keinen verfluchten Hund, Elizabeth.«
Als sich der Mustang seinen Weg Carolines lange Einfahrt hinunter bahnt, beginnt es zu regnen. Tropfen prasseln auf die Windschutzscheibe, die von Sekunde zu Sekunde größer werden. Doch ich schalte die Scheibenwischer nicht ein. Während ich mein lebendes Selbst beobachte und zusehe, wie ich das Lenkrad fest umklammert halte, den Körper leicht nach vorn gebeugt, um einen besseren Blick auf die Straße zu erhaschen ( warum schalte ich die Scheibenwischer nicht ein?), ist mir klar, dass ich mich nicht hinters Steuer hätte setzen dürfen. Sobald wir auf der Hauptstraße sind, kann ich sehen, dass ich Mühe habe, rechts von der gelben Doppellinie zu bleiben. Ich besitze meinen Führerschein erst seit etwas über einem Monat, und den Mustang habe ich erst seit ein paar Wochen; ich bin ohnehin keine besonders gute Fahrerin, und ich bin definitiv noch nicht sonderlich erfahren darin, mit Gangschaltung zu fahren. Zweimal würge ich den Wagen beinahe ab. Zum Glück herrscht praktisch keinerlei Verkehr. Noank ist ein verschlafenes Städtchen; nach neun Uhr abends passiert hier nicht mehr viel.
»Mach die Scheibenwischer an, Liz«, weist Josie mich an.
»Ohhh … Wie geht das? Ich finde den Hebel nicht.«
»Rechts von dir. Versuch, dich zu konzentrieren.«
Schließlich finde ich den Hebel. »Wow, so ist es viel besser«, erkläre ich ihr kichernd.
Sie dreht das Radio auf. »Gut. Bist du okay?«
Ich nicke. »Ja. Mir geht’s gut.«
Aber ich weiß, dass ich lüge. Mir geht es nicht gut; ich bin offensichtlich immer noch betrunken.
Was mich nicht davon abhält, mit Josie bei R. E. M.s »Losing My Religion« mitzusingen, das aus den Lautsprechern dröhnt. Das Tempolimit beträgt hier vierzig Stundenkilometer. Ich schaue an meinem lebendigen Ich vorbei auf die Anzeige am Armaturenbrett des Mustangs und bin überrascht zu sehen, dass ich über achtzig fahre. Der Regen wird immer heftiger, er entwickelt sich zu einem Wolkenbruch.
»Fahr langsamer, Liz«, murmle ich meinem lebendigen Selbst zu. Obwohl ich weiß, dass dies alles bloß eine Erinnerung ist, überkommt mich ein Gefühl wachsenden Schreckens. Wir sind zu schnell, und es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte.
Es kommt aus dem Nichts. Meine Aufmerksamkeit ist unstet, und als ich beobachte, wie sich die Szene entfaltet, denke ich im ersten Moment, ich hätte ein Tier erwischt, oder vielleicht einen größeren Stein, doch beinahe augenblicklich wird mir klar, dass es etwas anderes ist. Etwas Größeres. Sobald es in meinem Blickfeld auftaucht, ertönt ein dumpf klingendes Tschump – und dann ist es fort.
»Scheiße«, sage ich, fahre an den Straßenrand und schaue mich um. Sonst ist kein Auto zu sehen. »Scheiße. Was war das? Ich glaube, ich habe irgendwas angefahren.«
Josie dreht die Musik leiser, macht sie aber nicht aus. »Was sagst du?«
Das Geräusch des fallenden Regens überall um uns herum erzeugt ein dichtes Lärmgetöse. »Ich sagte, ich glaube, ich habe irgendwas angefahren.« Ich halte inne. »Vermutlich war es ein Reh. Sollen wir aussteigen und nachsehen?«
Josie blickt aus ihrem Fenster. »Es gießt in Strömen.«
»Ich weiß.«
Und wir sitzen beide da und schauen einander an. Als ich uns beobachte, überkommt mich ein tiefgreifendes Gefühl der Enttäuschung, das zu Abscheu heranwächst. Wir wollen nicht aus dem Wagen steigen, weil wir nicht nass werden möchten.
Schließlich sage ich: »Josie … Wir sollten wirklich lieber nachsehen.«
Sie wirft einen Blick auf den Rücksitz. »Hast du einen Regenschirm?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Wir müssen nachher ohnehin duschen. Komm mit.«
Sie presst ihre Lippen aufeinander und rümpft die Nase. »Warum steigst du nicht allein aus?«
»Nein. Ich gehe nicht allein da raus. Josie, bitte!«
Sie macht die Musik ganz aus, schaut sich um und späht durch die nasse Windschutzscheibe auf die Straße. »Denkst du wirklich, es war ein Reh?«
»Es war irgendetwas Großes . Komm schon. Wir müssen nachsehen.«
Meine Stiefschwester bedenkt mich mit einem langgezogenen Seufzen. Sie lässt sich Zeit damit, in die Mittelkonsole zu greifen und ein Haarband daraus hervorzuholen. Sie streicht ihr Haar straff nach hinten, damit es nicht völlig
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