Manche Maedchen muessen sterben
geholfen, Liz. Vielleicht wärst du ohne mich nicht dazu imstande gewesen. Vielleicht hat man uns aus einem bestimmten Grund zusammengebracht. «
»Aus einem bestimmten Grund?«
Sein Blick ist ruhig und gelassen. »Damit ich dir vergebe. Weißt du, Liz, ich dachte, das hätte ich bereits getan, aber ich habe mich geirrt. Ich hatte ein Jahr lang Zeit, um darüber nachzudenken. In meinen Gedanken bin ich diese Nacht tausendmal durchgegangen. Ich dachte, ich könnte damit abschließen. Aber dann, als ich imstande war, wieder mit dir zu reden, an dem Tag, als du starbst … da brach all die Wut wieder über mich herein. Mir wurde klar, dass ich zwar versucht hatte, dir zu vergeben, aber ohne Erfolg. Ich hasste dich noch immer. Nicht bloß dafür, dass du mich in jener Nacht angefahren hast, sondern auch für die Art und Weise, wie du mich behandelt hast, als ich noch am Leben war, als würde ich überhaupt nicht existieren. Denn du kanntest nicht einmal meinen Namen.« Er zuckt die Schultern. »Und dann waren wir hier, gemeinsam, und es war offensichtlich, dass du dich an nichts von dem erinnerst, was geschehen war. Das kam mir gerade recht.«
Während er spricht, wird mir etwas klar. »Das ist der Grund, warum du anfangs nicht wolltest, dass ich dich berühre«, sage ich. »Nicht wahr? Das ist der Grund, warum du mich nicht in deine Erinnerungen mitnehmen wolltest. Du hattest Angst, dass ich irgendetwas sehen würde, das mich hätte erkennen lassen, was passiert ist, bevor die Zeit dafür gekommen war.«
Er nickt. »Ja.«
»Seit wann wusstest du es?«, bedränge ich ihn. »Zu welchem Zeitpunkt nach deinem Tod wurde dir klar, dass ich diejenige war, die dich angefahren hat?«
»Ich wusste es von Anfang an«, gibt er zu. »An vieles konnte ich mich nicht erinnern, doch jene Nacht hatte ich von Anfang an deutlich vor Augen. Ich entsann mich, wie ich im Regen zu dir und Josie aufblickte. Ich entsann mich, dir in die Augen geschaut zu haben. Dein Gesicht war das Letzte, was ich sah, bevor ich starb.«
»Und danach?«, frage ich. »Hast du mich beobachtet? Als ich noch lebte?«
Er nickt. »Ja. Ich habe dich die ganze Zeit über beobachtet. Es war, als wäre ich besessen von dir. Ich musste wissen, dass dir das, was du mir angetan hast, nicht egal war. Ich sah dich jeden Tag laufen – es war, als würdest du versuchen, deiner Erinnerung zu entkommen, als könntest du das alles irgendwie hinter dir lassen, wenn du nur weit genug läufst. Ich habe dich Morgen für Morgen in Mr. Rileys Haus gesehen. Ich war dort, Liz. Ich habe alles gesehen. Ich weiß, wie schuldig du dich gefühlt hast.« Er schluckt. »Dein Gewissen hat dich umgebracht. In gewisser Weise.« Er schenkt mir ein schwaches Lächeln. »Und dann bist du gestorben. Aber, Liz, ich denke, da ist noch etwas anderes. Ich glaube nicht, dass es bloß darum geht, dass ich dir vergebe. Ich denke, hier geht es auch … um dich. Darum, dass du dir selbst vergibst.« Er zögert. »Kannst du dir selbst verzeihen, was du mir angetan hast?«
»Ich weiß es nicht.« Aber mir wird schlagartig bewusst, dass das nicht stimmt; ich weiß es sehr wohl . »Nein. Das kann ich mir nie verzeihen. Alex, du musst das verstehen – wie könnte ich mir das jemals vergeben? Ich bin betrunken gefahren. Ich bin zu schnell gefahren. Und nachdem es passiert ist, hätte ich dir helfen können. Ich hätte den Notruf anrufen können. Ich hätte zur Polizei gehen können …«
»Aber das hast du nicht getan. Was geschehen ist, lässt sich nicht ändern.« Er sieht mich traurig an. »Du hast dich so sehr bemüht zu vergessen. Selbst nach deinem Tod hast du versucht, dir eine andere Geschichte einzureden. Du hast versucht, mir eine andere Geschichte einzureden. Erinnerst du dich? Bei deiner Beerdigung hast du mir erzählt, du hättest deine Laufstrecke geändert, nachdem sie meine Leiche gefunden haben. Aber das ist nicht wahr, Liz. Du hast deine Strecke bereits geändert, bevor sie mich fanden.«
Ich schließe für eine Sekunde die Augen. Er hat recht. Natürlich habe ich sie schon vorher geändert – wie um alles in der Welt hätte ich weiterhin an ihm vorbeilaufen können, in dem Wissen, dass er immer noch in diesem Wald liegt? In dem Wissen, dass ich diejenige bin, die ihm das angetan hat? Die Wahrheit war so grässlich, dass ich mich selbst nicht dazu durchringen konnte, mich ihr zu stellen. Ich wollte meine eigene Lüge unbedingt glauben, und für eine Weile klappte es. Beinahe.
Als ich
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