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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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Blick über ihre Schulter, in Richtung der Treppe. »Nein, Josie, ist er nicht.«
    Josie runzelt die Stirn. »Aber sein Wagen steht in der Einfahrt. Und er sagte mir, dass er hier sein würde.«
    »Josie …« Mrs. Wilson scheint sich sichtlich am Riemen zu reißen. »Wie geht es Liz’ Dad?«
    Josie schaut sie einen Moment lang durchdringend an. Dann sagt sie in trotzigem Ton: »Meinem Dad geht es gut. Er wird schon darüber hinwegkommen.« Sie schluckt und starrt Mrs. Wilson weiterhin an. »Das werden wir alle, Mrs. Wilson. Auch Richie.«
    Mrs. Wilson beginnt, die schwere Vordertür zu schließen. »Ich glaube, du solltest nach Hause gehen, Josie.«
    »Aber wann ist …«
    Meine Stiefschwester steht fassungslos auf der Veranda, als die Tür vor ihrer Nase zufällt.
     
    Die Erinnerung saugt mich in sich hinein, als wäre ich eine flüssige Substanz. Mit einem Mal ist sie überall um mich herum, ohne dass ich das Geringste tun könnte, um es zu verhindern.
    Ich bin fünf, vielleicht sechs Jahre alt. Josie, Richie und ich sitzen im Wohnzimmer meiner Eltern auf dem Boden. Josie und ich spielen mit Barbie-Puppen, aber Richie versucht, uns zu einem Gefecht gegen eine Handvoll Plastikspielzeugsoldaten zu überreden.
    »Wir können gegeneinander kämpfen!«, drängt er, während er die Soldaten in einer Reihe aufstellt. »Liz, du und Josie, ihr könnt in einem Team sein. Ich bin der Feind. Ihr könnt die Guten sein. Oder wir können alle zusammen auf einer Seite sein und in Fort Knox einbrechen und all das Gold stehlen! Mein Dad sagt, dass die Regierung dort das ganze Geld lagert.« Als er einsehen muss, dass wir ihn gar nicht beachten, gibt er die Idee mit den Spielzeugsoldaten auf. »Ich habe Hippo Flipp«, erklärt er. »Ich könnte sie holen gehen. Wollt ihr Mädchen vielleicht damit spielen? Oder wir könnten Karten spielen. Liz, möchtest du Uno spielen?«
    »Sie spielt jetzt mit ihrer Barbie«, sagt Josie, ohne ihn anzuschauen. »Lass uns in Ruhe.«
    Doch mein jüngeres Ich blickt schüchtern von Josie zu Richie und denkt nach. Und als er und ich Blickkontakt herstellen, erröte ich. Ich sage: »Wir könnten alle zusammen Schönheitssalon spielen. Richie, du brauchst einen Haarschnitt. Ich und Josie sind deine Friseurinnen.«
    Er strahlt. »Okay. Wo soll ich mich hinsetzen?«
     
    Unsere Eltern geben im Esszimmer, das direkt ans Wohnzimmer angrenzt, eine Dinnerparty. Sie trinken Wein und essen Brie auf Crackern. Mein Dad sitzt am Kopfende des Tisches. Zu seiner Rechten ist meine Mom. Zu seiner Linken ist Nicole. Mr. und Mrs. Wilson sitzen einander gegenüber. Josies Vater, Mr. Caruso, hat am anderen Ende des Tisches Platz genommen.
    Die Erwachsenen sind laut und vermutlich alle ein bisschen beschwipst. Wir müssten eigentlich längst im Bett sein, aber wenn sie so zusammenkommen wie heute – was häufig der Fall ist –, lassen sie uns immer lange aufbleiben. Der einzig Schweigsame am Tisch ist Josies Dad. Soweit ich mich entsinne, hat er nie viel gesagt.
    Richies Mom steht auf. »Wie wär’s mit einer weiteren Flasche Wein?«, fragt sie. Sie schaut meine Mom an. »Lisa? Ich gehe in die Küche. Möchtest du mitkommen?« Und sie legt in einer paffenden Geste wortlos zwei Finger an die Lippen. Das bedeutet: Zigarette.
    »Ich bin dabei. Ich komme sofort nach«, sagt meine Mom. Sie hat die Ellbogen auf den Tisch gestützt und lehnt sich nach vorn; ihr Blick ist interessiert, obgleich ihre Augen stumpf wirken, als sie meinem Vater zuhört, der irgendeine Anekdote aus seiner Arbeit zum Besten gibt. Sie hat ihren Teller mit Käse und Crackern nicht angerührt. Sie ist so dürr, dass ich es fast nicht ertrage, sie anzusehen.
    Richies Mom bleibt auf dem Weg in die Küche im Wohnzimmer stehen. Sie lächelt auf uns herab. »Und? Habt ihr Kinder Spaß?«
    »Ja, haben wir.« Richie sitzt vollkommen reglos auf einem Stuhl, ein Geschirrtuch wie einen Friseurumhang um seine Schultern drapiert, während Josie und ich so tun, als wären unsere Finger Scheren. Wir sind so damit beschäftigt, sein Haar zu »schneiden«, dass wir sie kaum eines Blickes würdigen.
    »Das ist gut«, murmelt sie. Sie seufzt. »Ach, noch einmal so jung und so sorglos sein. Ihr Kinder habt ja keine Ahnung, wie schön ihr es habt.«
    Sie spaziert weiter in die Küche. Dort entkorkt sie eine Flasche Wein und füllt ihr Glas ganz bis zum Rand nach. Dann öffnet sie die Seitentür, die hinaus auf die Terrasse führt, einen Spaltbreit, steckt sich eine

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