Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
Vom Netzwerk:
Zigarette an und lehnt sich gegen den Türrahmen; offensichtlich genießt sie es, einen Moment lang allein und sorglos zu sein.
    Doch dieser Moment vergeht. Während sie dort steht und die Unterhaltung im Esszimmer verfolgt, versteift sich ihr Körper. Sie beugt sich ein ganz klein wenig nach vorn. Ihre Augen werden zu schmalen Schlitzen. Ich folge ihrem Blick und bin unverzüglich dankbar dafür, dass das, was unter dem Tisch vorgeht, außerhalb des Blickfelds meines jüngeren Ichs stattfindet.
    Mrs. Wilson starrt zu einer Stelle unter dem Tisch: auf die Füße meines Vaters. Meine Mutter ist so dünn, dass sie mit den Beinen im Schneidersitz auf ihrem Stuhl sitzen kann, im Lotus-Stil, so dass ihre Füße nicht einmal den Boden berühren. Josies Mom indes hat ihre Füße unmittelbar neben die meines Vaters geschoben. Unter dem Tisch reibt sie ihre Zehen an seiner Wade.
    Gleich dort im Esszimmer. Jeder könnte einen Blick unter den Tisch werfen und sehen, was vorgeht: meine Mutter, Josies Dad, alle im Zimmer. Und ich bin mir sicher, dass Richies Mom es ebenfalls bemerkt. Sie nimmt einen großen Schluck von ihrem Wein und zieht weiterhin an ihrer Zigarette, aber jetzt lächelt sie nicht mehr, und sie wirkt auch nicht mehr im Mindesten entspannt.
    Mein Vater erzählt weiter seine Geschichte, als würde überhaupt nichts Ungewöhnliches passieren. Nur einmal, für einen flüchtigen Augenblick, schweift sein Blick für einen Moment zu Josies Mom. Er schenkt ihr ein flüchtiges, wissendes Lächeln. Bloß eine Sekunde lang. Aber das genügt. Die Erkenntnis, dass all die Gerüchte wahr sind, lässt mich schwindeln.
    Als meine Mom aufsteht, um in die Küche zu gehen, zieht Josies Mom ihre Füße von denen meines Dads weg und platziert sie unter ihrem Stuhl. Sie reicht meiner Mom ihr leeres Weinglas. »Lisa? Wärst du so lieb, mir nachzuschenken?«
    »Aber gewiss.« Meine Mom nimmt Nicoles Glas mit in die Küche, zusammen mit ihrem eigenen.
    »In Ordnung«, sagt sie zu Richies Mom. »Gib mir eine Zigarette.« Sie steckt sie hastig an und nimmt einen langen, dramatischen Zug. »Ahhh. Das ist einfach das Wahre.« Sie ist sorgsam darauf bedacht, den Rauch aus der einen Spaltbreit offenen Tür hinauszublasen und mit ihrer freien Hand die Luft zu fächeln. »Ich habe keine Ahnung, warum Marshall so sauer wird, wenn ich rauche«, sagt sie. »Immerhin hat er seine geliebten Zigarren, und ich mache deswegen ja auch kein Theater.«
    »Wo wir gerade von Marshall sprechen«, sagt Richies Mom, die noch einen großen Schluck Wein nimmt. »Wie läuft’s mit euch beiden?«
    »Ach, du weißt schon. Gut, nehme ich an. Warum?«
    »Einfach nur so. Nicole zieht wieder ihre alten Spielchen ab, das ist alles.«
    Meine Mom schließt die Augen. Sie nimmt noch einen Zug von ihrer Zigarette. »Tatsächlich?«
    »Tut mir leid, Lisa. Aber sie hat gottverflucht nochmal Nerven, direkt vor deiner Nase mit ihm zu füßeln …«
    »Sie füßeln miteinander?«, flüstert meine Mom.
    Richies Mom nickt. »Du solltest etwas unternehmen. Fahr deine Krallen aus. Er ist dein Mann.«
    Meine Mom starrt zu Boden. »Diese Schlampe.«
    »Warum hast du sie überhaupt eingeladen? Warum hört ihr nicht endlich auf, Zeit mit den beiden zu verbringen? Sie ist selber verheiratet. Sie und Marshall sind in der Highschool drei Jahre miteinander gegangen, sie haben sich getrennt, er hat dich geheiratet. Ende der Geschichte. Hätte sie ihn unbedingt gewollt, hätte sie ihn festhalten sollen, als sie die Gelegenheit dazu hatte.«
    »Oh … Ich weiß nicht recht. Ich habe fast das Gefühl, als könne sie nicht anders. Sie betrinkt sich, und dann ist es, als würde sie denken, es sei in Ordnung zu flirten.« Meine Mom wirft einen raschen Blick über die Schulter ins Esszimmer. »Marshall würde niemals etwas tun, das uns verletzen könnte. Er ist ein guter Mann.«
    »Wenn du das sagst.« Richies Mom schnippt ihre Zigarette in den Hof hinaus. »Aber ich sage dir, Lisa …« Ihre strenge Miene wird plötzlich weicher. »Ich möchte bloß, dass du glücklich bist. Du bist so dünn; man sieht, dass du offensichtlich unter Druck stehst. Da brauchst du nicht noch jemanden, der nach allem, was du durchmachst, auch noch mit deinem Mann flirtet.«
    Meine Mom lässt ein schwaches Lächeln sehen. »Sie flirten doch bloß. Er gehört zu mir. Und ich war gerade letzte Woche beim Arzt. Ich habe fast ein Kilo zugenommen!«
    Richies Mom scheint nicht recht zu wissen, wie sie diese Bemerkung deuten

Weitere Kostenlose Bücher