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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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schon, wenn mich jemand anfährt? Das wäre nichts weiter als Karma, richtig?
    Zuerst laufe ich durch den Ort, im Zickzack durch die von prächtigen alten Häusern gesäumten Straßen. Dann bahne ich mir meinen Weg zum Strand hinunter, bis ganz zum Rand der Uferlinie, wo ich mich umdrehe, um wieder zurück zur Straße zu laufen, die winzige Brücke zu überqueren und nach rechts in den Weg einzubiegen, wo der fünf Meilen lange Wanderpfad nach Mystic beginnt. Wie üblich schmerzt es mich, dass ich mir nicht folgen kann, indem ich konkret neben der Erinnerung meiner selbst herlaufe; ich kann bloß zuschauen, wie sich alles einem lebhaften Traum gleich vor mir entfaltet, während meine Füße in den Stiefeln pochen. Wenn ich die ganze Strecke nach Mystic und zurück laufe, werde ich erst nach einundzwanzig Uhr wieder zu Hause sein. Ich bin heute bereits über zehn Meilen gelaufen, was eine Menge ist, vermutlich zu viel. Doch offensichtlich kümmert mich das nicht.
    Ich habe ungefähr ein Drittel des Weges nach Mystic zurückgelegt, als hinter mir ein Wagen auftaucht, auf Schneckentempo abbremst und schließlich zum Stehen kommt. Der Fahrer lässt das Fenster auf der Beifahrerseite runter.
    »Liz«, sagt er mit gedämpfter Stimme. »Liz Valchar. Schwing deinen Hintern in den Wagen.«
    Es ist Mr. Riley.
    Aber ich bleibe nicht stehen. Offenkundig will ich das nicht. Das Besondere am Laufen ist, dass es einem den Kopf frei macht. Alle Gedanken verschwinden. Ich will über nichts nachdenken, nicht über all die Hinweisschilder, an denen ich in Mystic vorbeikomme, an Postern von Alex Berg, auf denen eine Belohnung für jedwede Information versprochen wird, die zur Verhaftung von demjenigen führt, der ihn umgebracht hat. Nicht über den Umstand, dass nicht einmal Richie – dem ich in dieser Welt näher stehe als irgendwem sonst – weiß, was passiert ist, und es auch niemals erfahren darf. Ich will nicht darüber nachdenken, ob das, was ich getan habe, mich zu einer Mörderin macht oder nicht. Ich will nicht nachdenken. Punkt.
    Also antworte ich Mr. Riley bloß mit einem Kopfschütteln und laufe weiter. Er lässt seinen Wagen neben mir her rollen, folgt mir, das Fenster immer noch unten.
    »Wo sind deine Reflektoren? Versuchst du vielleicht, dich umzubringen? Bist du heute Morgen ebenfalls gelaufen? Was soll das Ganze, Liz?«
    »Lassen Sie mich in Ruhe.« Noch immer rennend, werfe ich ihm einen Blick zu. Er folgt mir weiterhin.
    »Was machen Sie überhaupt hier draußen?«, frage ich.
    »Ich versuche, Hope zum Einschlafen zu bringen. Und wenn du nicht einsteigst, muss ich dich anbrüllen, und dann wacht sie wieder auf.« Er lächelt. »Willst du dir das auf dein Gewissen laden?«
    Als ich uns zusammen beobachte, sorgt die unbewusste Ironie seiner Bemerkung dafür, dass mir ein wenig mulmig im Magen wird. Doch ich kenne ihn seit Jahren. Er ist hartnäckig; das ist eins der Dinge, die ihn zu einem großartigen Trainer machen. Und da ich keine Reflektoren trage, wird er mich um nichts in der Welt einfach hier im Dunkeln weiterlaufen lassen, das ist mir klar. Also steige ich ein.
    Einen kurzen Moment lang regt sich Hope in ihrem Kindersitz. Dann, bevor sie auch nur die Augen aufschlägt, um zu sehen, was der Krach zu bedeuten hat, schläft sie wieder ein.
    »Also … Dann fahren Sie also bloß mit Ihrer Kleinen durch die Gegend?«, frage ich.
    Er lächelt knapp. »Hättest du Kinder, würdest du das verstehen. Kinder – nun ja, Babys … Wenn man sie bewegt, sind sie praktisch nach zehn Sekunden im Land der Sieben Kissen. Andernfalls schläft sie nicht gut. Meine Frau ist schon kurz davor durchzudrehen. Hope ist die ganze Nacht über wach, und tagsüber ist sie auch fast die ganze Zeit auf. Ich tue mein Bestes, um zu helfen. Und dann stoße ich hier draußen auf dich. Was denkst du dir dabei? Ich konnte dich kaum sehen. Eigentlich weißt du es doch besser, als nachts so laufen zu gehen.«
    Obwohl es in seinem Wagen nicht sonderlich warm ist, schwitze ich teuflisch. Sobald mein Körper abzukühlen beginnt, fange ich an zu zittern. Es ist offensichtlich, dass ich diese Unterhaltung im Augenblick nicht mit ihm führen will.
    »Sie konnten mich nicht sehen?«, frage ich.
    »Kaum. Ich konnte jemanden sehen. Mein erster Gedanke war: ›Wer zur Hölle ist dieser Schwachkopf, der nachts ohne irgendetwas Reflektierendes durch die Gegend rennt?‹«
    »Und woher wussten Sie dann, dass ich es bin?«
    Er streckt die Hand aus, um an

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