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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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du. Marshall, sie war wie eine Tochter für mich. Ich habe sie geliebt. Ich würde alles tun, um sie wiederzuhaben. «
    »Darum geht es nicht.« Mein Dad schüttelt den Kopf. Er durchquert den Raum, um zu Nicole hinüberzugehen, hält ihre verletzte Hand in der seinen und übt Druck auf das Papiertuch aus, wo auf dem Weiß ein heller roter Fleck auftaucht, als das Papier durchgeblutet ist. »In letzter Zeit habe ich zunehmend das Gefühl, als sei dies alles ein Fehler gewesen.«
    Nicole atmet scharf ein. »Was meinst du damit?«
    »Ich meine alles. Du. Ich. Diese Familie, die wir zu sein versucht haben. Das Ganze kommt mir vor … Es kommt mir vor wie eine verdammte griechische Tragödie. Ich fühle mich, als würden wir bestraft.«
    »Wir haben uns ineinander verliebt. Wir haben nichts Falsches getan.«
    »Weißt du, was die ganze Stadt sich über uns erzählt?«, fragt mein Dad. »Was sie schon seit Jahren sagen? Die Wilsons würdigen uns kaum eines Blickes. Wären sie jemals zu Hause gewesen, hätten sie niemals zugelassen, dass Richie sich Liz oder Josie auch nur bis auf drei Meter nähert.«
    »Ich liebe dich.« Nicole sieht meinen Vater verzweifelt an. »Du bist die Liebe meines Lebens.«
    »Ich weiß.« Er zögert. »Ich weiß, dass du das glaubst.«
    Sie legt ihren Kopf an seine Schulter und schluchzt leise.
    »Es tut mir leid«, sagt mein Dad. »Aber ich glaube nicht, dass ich so weitermachen kann. Es bringt mich um, Nicole. Begreifst du das nicht? Erkennst du das nicht? Es bringt mich um.«
     
    Jetzt, wo Alex fort ist, kommen die Erinnerungen schneller hintereinander, mit weniger Vorwarnung. Es ist, als würden sie irgendwie an Schwung gewinnen. Im einen Moment stehe ich bei meinen Eltern in der Küche und schaue zu, wie Dads und Nicoles Ehe in die Brüche geht, und im nächsten Augenblick bin ich im Alter von siebzehn Jahren in genau derselben Küche, quicklebendig, und stochere in einer Schale mit einfachem Naturreis herum, während der Rest meiner Familie chinesisches Essen vom Lieferservice in sich hineinstopft.
    Ich stehe auf und schiebe die Schale von mir. »Ich denke, ich gehe laufen.«
    Mein Dad und Nicole sehen mich überrascht an. Josie isst weiter. Mir wird bewusst, dass ich uns kurze Zeit nach Alex’ Tod beobachte, in der Zeit, als es mit mir bergab zu gehen begann. Die Schuldgefühle machten mich bereits krank.
    »Es ist fast neunzehn Uhr. Es ist dunkel«, sagt mein Dad.
    »Ich ziehe meine Reflektoren an. Ihr wisst, dass ich manchmal abends laufe.«
    »Ja, Liz, aber du bist heute Morgen schon vor der Schule gelaufen. Und nach der Schule hast du für die Cross-Country-Saison trainiert. Warum willst du schon wieder laufen gehen? « Mein Vater mustert meinen Körper von oben bis unten. »Du versuchst doch nicht abzunehmen, oder? Denn das brauchst du nun wirklich nicht. Du bist spindeldürr.«
    Josie hält mitten im Kauen inne. Sie schluckt, schaut jedoch immer noch nicht von ihrem Essen auf.
    »Darum geht es nicht. Ich bin bloß gestresst. Ich werde nicht lange weg sein. Wir sehen uns nachher, in Ordnung?« Und weg bin ich und eile die Treppe hinauf, um meine Laufklamotten anzuziehen. Während ich mich selbst dabei beobachte, wie ich den Flur entlanggehe, höre ich Nicole sagen: »Vermutlich trifft sie sich irgendwo mit Richie, Marshall. Mach dir deswegen keine Gedanken.«
    In der Stimme meines Vaters schwingt Sorge mit. »Wenn sie sich mit Richie treffen wollte, könnte sie einfach zu ihm rübergehen. Das bräuchte sie uns nicht zu verheimlichen. Ich glaube, wir sollten sie vielleicht zu einem Psychologen schicken. «
    Das Wissen, das ich nun habe – denn jetzt verstehe ich, warum ich so viel laufen gegangen bin –, macht mich beinahe wütend auf meinen Dad, auf Nicole. Warum haben sie mich nicht zu einem Psychologen geschickt? Warum hat niemand versucht, mir zu helfen?
    Nun, das stimmt nicht ganz. Auf seine Art hat mein Dad versucht, mir zu helfen. Es ist wohl eher so, dass ich alle Hilfe abgelehnt habe. Ich wollte leiden. Ich wollte für das bestraft werden, was ich Alex angetan habe. Das verstehe ich jetzt.
    Ich habe eine reflektierende Weste, die ich eigentlich immer tragen soll, wenn ich in der Abenddämmerung oder später laufe. Tatsächlich sollte ich sie sogar tagsüber anziehen, wenn ich neben der Straße unterwegs bin, doch sobald ich das Haus verlasse, streife ich sie ab und lasse sie neben der Veranda liegen. Mittlerweile ist mir klar, was ich mir dabei gedacht habe. Was macht es

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