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Manche Maedchen muessen sterben

Manche Maedchen muessen sterben

Titel: Manche Maedchen muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Warman
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aber nicht mehr getan hätte –, weiterhin Katzen gegen Kätzchen eingetauscht hätte, immer und immer wieder, damit ich niemals miterleben musste, wie sie aufwachsen, so dass sie für mich für alle Zeiten winzig und süß gewesen wären.
    Nach dem Tod meiner Mutter tat Dad alles in seiner Macht Stehende, um mich glücklich zu machen. Alles. Er gab mir, was immer ich wollte: die teuersten Markenklamotten, Konzertkarten für die erste Reihe, Designerhandtaschen und Schuhe und Make-up und alles, was mein Herz nur begehrte. Als ich siebzehn wurde, kaufte er mir ein brandneues Auto.
    An meinem achtzehnten Geburtstag ließ er mich auf unserem Boot eine Party schmeißen. Ich bekam alles, was ich wollte. Ganz gleich, um welchen Preis.
     
    Zurück in der Gegenwart, beobachte ich meinen Vater dabei, wie er weinend in meinem alten Zimmer steht. Mister Whiskers haben wir nicht mehr. Eines verschneiten Tages vor ein paar Jahren ging er nach draußen und kam einfach nicht mehr wieder.
    »Sieht aus, als käme der Rest deiner Familie doch nicht so gut mit deinem Tod zurecht, wie du dachtest«, sagt Alex leise.
    »Ja«, sage ich nickend. »Sieht so aus.«
    »Mädchen«, sagt Nicole zu Josie und meinen Freundinnen, scheinbar unbeschwert, »warum geht ihr nicht alle nach unten ins Wohnzimmer und … ich weiß nicht, trinkt etwas Kakao oder so was.« Zu meinem Vater sagt sie: »Marshall, lass uns gehen. Lass sie in Ruhe.«
    Bevor sie das Zimmer verlassen, wendet er sich an Mera, die noch immer wie erstarrt ist und ihre Zigarette umklammert hält. Mittlerweile ist sie so weit heruntergebrannt, dass größtenteils bloß noch Asche übrig ist, die in schrägem Winkel von ihrer schlaffen Hand baumelt. »Mach sofort diese verdammte Zigarette aus«, sagt er mit zusammengebissenen Zähnen.
    Mera schnippt die Zigarette aus dem Fenster.
    »Gut.« Mein Vater holt tief Luft. »So ist es besser.« Er schaut Caroline an, die den Tränen nahe zu sein scheint, dann Josie und zu guter Letzt Nicole. »Gehen wir wieder ins Bett«, sagt er zu ihr.
    »Sicher, Liebling. Lass uns gehen.«
    Sie gehen hinaus und schließen die Tür hinter sich. Meine Freundinnen sagen lange Zeit nichts.
    Schließlich sagt Mera: »Himmel, Josie. Liz’ Dad ist in schlechter Verfassung, oder?«
    Josie starrt sie an. Sie kneift ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. » Mein Dad«, korrigiert sie Mera. »Er ist auch mein Dad. Das wisst ihr.« Als ich noch am Leben war, war sie nie so energisch angesichts der Möglichkeit, dass wir denselben Vater haben könnten. Doch jetzt, da ich tot bin, ist sie diesbezüglich wesentlich hartnäckiger.
    »Sie glaubt das tatsächlich«, sage ich. »Hör sie dir an, Alex.« Ich sehe ihn an. »Sie ist davon überzeugt, dass wir denselben Vater haben. Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist, nicht ein einziges Mal.«
    »Und jetzt?« Er lässt die Worte bedeutungsvoll in der Luft hängen.
    Ich schüttle den Kopf. »Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll. Ich habe das Gefühl, als wüsste ich überhaupt nichts.«
    Alex nickt. Dann fragt er: »Willst du Richie immer noch folgen?«
    Das hätte ich fast vergessen; doch ich bin dankbar für die Unterbrechung. Meinen Vater so aufgewühlt zu sehen bricht mir das Herz. Mein armer Dad. Er wirkt jetzt so allein. Mich befällt ein ungeheuerliches Schuldgefühl, ihn verlassen zu haben. Selbst wenn ich es nicht absichtlich getan habe, ändert das nichts an der Tatsache, dass ich fort bin.
    »Ja«, sage ich mit rauer Stimme. »Lass uns gehen.«
     
    Vom Mond ist nahezu nichts zu sehen, bloß das winzige Stück einer silbernen Sichel, die wie durch Zauberei am Firmament hängt, als wir Richie durch den Ort folgen.
    »Ich wünschte, wir wüssten, wo er hingeht«, sage ich, während ich bei jedem Schritt zusammenzucke. Ich kann die Blasen an meinen Zehen fühlen. Ich kann die Nerven spüren, die bei jeder Bewegung eingeklemmt werden. »Du hast keine Ahnung, wie sehr das schmerzt. Wenn wir wüssten, wo er hinwill, könnten wir einfach da sein .«
    »Was das betrifft, habe ich so eine Ahnung«, sagt Alex.
    »Ach ja? Was glaubst du, wo er hingeht?«
    »Das ist doch ziemlich offensichtlich, oder nicht? Wir sind fast da.« Und er nickt in Richtung des breiten, eisernen Doppeltors in einiger Entfernung vor uns. »Er geht zum Friedhof. «
    Die Nacht ist kühl; Richies Füße in den Flip-Flops müssen frieren. Einen Moment lang stelle ich mir vor, wie sich meine Zehen in einem Paar Sandalen anfühlen

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