Manche Maedchen raechen sich
alles andere. Es kam mir so vor, als hätte Lexi eine riesige, innere Wunde, die immer noch klaffte und blutete, und als wäre ich die Einzige, die das sehen konnte. Nirgends klebte ein Pflaster, es gab keine Verletzung, die hatte genäht werden müssen, keine blauen Flecken, keine sichtbaren Spuren.
„Hi!“, rief Lexi.
„Hi!“, rief ich zurück.
„Wo ist Marianne?“
„Sie ist bei einem Treffen des Abschlussball-Komitees. Es gab Probleme mit dem Azteken-Thema. Caroline Aherne hat die falschen Requisiten bestellt. Jetzt haben wir irgendwelche Riesenköpfe von den Osterinseln anstatt mittelamerikanische Totenmasken. Das hat sämtliche Pläne über den Haufen geworfen“, sagte ich schnell.
„Sie hat zu tun, verstehe“, sagte Lexi.
Wir sahen beide zum großen goldenen Tor, über dem in geschwungener Schrift das Motto unserer Schule prangte: Nosce te ipsum. Honora te ipsum. Puni te ipsum. Dahinter kam eine Gestalt auf uns zu. Kerry Crof t – die größte Tratschtante der Schule.
„Hi, Kerry“, sagte ich.
Sie ignorierte mich einfach und wandte sich an Lexi. „Stimmt es, dass Alistair versucht hat, sich an dich ranzumachen?“
Aus Kerrys Mund klang es so, als hätte Aardant Lexi in der hintersten Reihe im Kino heimlich, still und leise den Arm um die Schultern gelegt.
„Was geht dich das an?“, fragte ich.
Lexi berührte behutsam meinen Arm.
„Ja, Alistair hat versucht, sich an mich ranzumachen. Unerwünschterweise , falls es das ist, was du wissen willst.“
Kerry sagte keinen Ton. Sie drehte sich nur um und ging zurück zum Tor.
„Lizzie“, flüsterte Lexi.
Ich legte meine Hand auf ihre kalten, zierlichen Finger.
„Na los, Croft! Geh schon und erzähl es der halben Schule, du Schlampe!“, schrie ich ihr hinterher.
„Woher weiß Kerry überhaupt davon?“, fragte Lexi.
Ich biss mir auf die Lippe. Ich hatte Lexi nichts von unserem Besuch bei Miss Bailoutte erzählt.
„Keine Ahnung. Ich hab mit niemandem darüber geredet, ehrlich. Das würde ich nie tun. Oder denkst du etw a …“
„Nein“, sagte Lexi sanft. „Natürlich nicht. Ich vertraue dir.“
Ich drückte kurz ihre Hand. Ich hoffte, sie konnte nicht spüren, wie schäbig ich mich fühlte.
Als wir das Klassenzimmer betraten, war Marianne schon da. Und sie sah aus wie ein Wrack. Oh Mann. Sie hatte sich die Haare mit einem Gummiband zurückgebunden und ihre weiße Bluse war voller undefinierbarer Flecken. Die Marianne auf Janes Part y – das Mädchen in leuchtend violetten High Heels und diesem verrückten Kleid, das aussah wie eine Fahne und das den wilden Stier in Gauntly hypnotisiert hatt e – sie kam mir vor wie ein Traum.
„Hi, Lex!“, rief Marianne. Sie umarmte Lexi kurz und setzte sich dann schnell wieder hin, um weiter über ihrem vollgestopften Ordner zu brüten.
„Ich kann immer noch nicht fassen, dass Carolin e … und dann auch noch heulen, weil ich sie aus dem Komitee geschmissen habe! Jetzt machen wir was zum Thema ‚Australiens Wilder Westen‘. Um den neun Meter hohen Affenbrotbaum aus Kunststoff kümmere ich mich diesmal lieber selbst. Nicht dass wir am Ende mit einem japanischen Bonsai dastehe n …“
Mariannes Chemielehrer Professor McFarlane, der sich laut M r Steele beim Bibliotheksbrand eine leichte Rauchvergiftung zugezogen hatte, war letzte Woche gestorben. Und solange Direktor Hollerings nach einem Ersatz suchte, mussten Marianne und Neil mit uns Englisch machen.
Marianne wollte auf demselben Platz sitzen, auf dem sie in ihren Englischstunden auch immer saß, und das hieß: auf meinem. Normalerweise hätte ich Marianne das nicht durchgehen lassen, aber weil wir gerade erfahren hatten, dass Professor McFarlane genau an dem Tag gestorben war, an dem Marianne in Gegenwart von Miss Bailoutte die Nerven verloren hatte, ließ ich sie gewähren. Ich setzte mich auf die andere Seite von Lexi. So musste ich wenigstens nicht direkt neben Marianne sitzen.
Tiefe Stimmen näherten sich dem Klassenzimmer und ich spürte, wie Lexi verkrampfte. Doch es waren nur Gauntly und Neil und sie entspannte sich wieder. Gauntly warf Marianne einen kurzen, prüfenden Blick zu und ging dann mit Neil nach hinten zu seinem Platz. Marianne sah nicht eine Sekunde von ihrem Ordner auf.
„Wow, wie ich sehe, hast du nur noch Augen für deinen neuen Schwarm“, flüsterte ich.
„Seh ich so aus, als ob ich für so was Zeit hätte?“, antwortete Marianne. Mein Sarkasmus war ihr vollkommen entgangen.
Auf einmal stand
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