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Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte

Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte

Titel: Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Federlein
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eine Wirkung erzeugt. Für mich war jeder, der mich füttern wollte oder mich auf mein Untergewicht angesprochen hat, ein Geschenk! Wieder hatte ich es geschafft, bemerkt und gesehen zu werden. Ich hatte eine Leistung erbracht, jetzt sah man das endlich und sprach mich darauf an!
    Dass es besorgte Menschen waren, die ehrlich Angst um mich hatten, kam nicht zu mir durch. Für mich waren das Komplimente! Und dieses Lügengebilde ist bei allen Essgestörten gleich. Dieser Verlust der Realität. Ich habe mich nie so dünn gesehen. Ich fand mich immer noch zu dick, auch ganz am Ende. Es gab immer noch Körperteile, an denen der Feind Fett saß, die man noch besser definieren hätte können. Aber es gab auch die Zeiten, wenn ich für mich war, an denen ich meine Hilflosigkeit spürte, in denen ich an mir herunter schaute oder in den Spiegel sah und für kurze Momente wirklich sehen konnte, wie ich aussah. Es war so schrecklich, so schmerzlich, zuzugeben, dass man alle seine Energie für eine Krankheit geopfert hatte. In diesen Momenten überkam mich eine so große Trauer, ein solcher Schmerz, dass ich schnell wieder dicht gemacht habe und lieber weiter in die falsche Richtung gerannt bin. Das kannte ich wenigstens, das war gewohnte Qual!
    Und dann triffst du einen Gleichgesinnten und erkennst, dass du zum Glück! nicht alleine bist. In den guten Momenten war ich einfach nur froh, sagen zu können, dass ich nicht einfach nur zu doof war und mich auf das falsche Spiel eingelassen hatte, ohne es zu merken, sondern dass es eben diese Krankheit war, die ich aufgeschnappt habe wie andere einen Schnupfen und dass sie Schuld an meinem eigenartigen und verkehrten Verhalten ist. Manchmal hilft es, die ganze Sache so zu sehen, dann kann man anfangen, sich zu verzeihen.
    Bis dann wieder die andere Seite da ist, die Süchtige, die einfach nicht nachgeben will und dir weiterhin vormacht, dass du eben was Besonderes bist, dass du Dinge kannst, die andere nicht können. Und da willst du keine Konkurrenz. Selbst heute noch, wenn ich nach Jahren einen Betroffenen treffe oder Talkshows über das Thema anhöre, steigt der Neid und die Wut in mir hoch, wenn andere davon berichten, wie es bei ihnen war - und ich will immer hören, dass ihr unterstes Gewicht weniger weit unten war als meines.
    Auch in der Klinik war es ein ständiges Auf und Ab, Konkurrenz darum, wer dünner ist oder war, wer langsamer, wer weniger aß oder gegessen hatte, auch nach Monaten Therapie. Wir wussten es alle besser, aber zumindest bei mir war es so, dass ich einfach keine andere Sache mehr hatte, in der ich gut war. Ich hatte für das Hungern alles geopfert, mich voll und ganz dem Abnehmen gewidmet um da Höchstleistungen zu bringen. Ich konnte nichts Anderes mehr. Ich hatte mein Reiten aufgegeben, mein ein und alles, nur um die Beste im Hungern zu sein und ich war verdammt nochmal stolz darauf und bin es heute noch. Auch wenn es komisch klingt, aber jetzt, wo ich die Krankheit besiegt habe, gestehe ich mir trotzdem diese Leistung zu, denn es war eine Leistung.
    Aber um gesund zu werden musste ich natürlich erst mal von dieser fixen Idee, es wäre etwas Erstrebenswertes, sich selber die Nahrung zu verweigern, loslassen und erkennen, dass am Ende dieses Weges einfach nur der Tod stand und steht.
    Auch das ist etwas, was ich von jedem Süchtigen höre: dieses Zweigeteilt sein, dieses hin und hergerissen sein. Ich dachte lange Zeit, es sind Engelchen und Teufelchen, die da streiten. Aber so einfach ist es nicht. Die Seite, die mich hungern ließ, mich zu Höchstleistungen antrieb und mir immer wieder die Kraft gab, weiterzumachen und stark zu sein und ja, auch hart mit mir zu sein und mich nicht in Selbstmitleid zu Suhlen, gab mir andererseits auch genau die Kraft, später immer weiterzumachen, als ich am Boden lag, in Depressionen gefangen, ohne Lebenswillen, einfach aufgeben wollte. Oder wenn ich mich so schwach und klein fühlte, so unbedeutend und unfähig zu allem, dann war und ist heute auch noch genau diese Seite aber meine Stütze, um selbstbewusst weiterzulaufen, wieder aufzustehen und wieder von vorne anzufangen, wenn es denn nötig ist.
    Die „Engelsseite“, wie ich anfangs dachte, also die Liebe, die mir immer wieder zuredete, ich solle doch was essen, ich wäre zu dünn, ich wäre doch liebenswert genug um weiterleben zu dürfen, also die Seite, die mir eigentlich half, mich aus den Klauen dieser kalten Magersucht herauszureißen, die mich auch mal

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