Manchmal ist das Leben echt zum Kotzen - Wie ich meine Essstörung besiegte
das eher als hilfreich, ich hab mich geborgen und behütet gefühlt. Wir waren ja hier, weil wir nicht mehr auf uns selber aufpassen konnten!!!
(Nur, wenn ich grad `nen Hunger-Rückfall hatte, und dann drauf angesprochen wurde, warum ich denn schon wieder nicht meine Menge essen würde, da hat es natürlich genervt).
Am Abend war zweimal die Woche unsere Essgruppe, eine Selbsthilfegruppe, wie bei den Anonymen Alkoholikern, nur statt AA nannten sie unsere OA, „overeating anonymus“.
Alles war genauso aufgebaut, man begrüßte sich reihum, sagte den genialsten Spruch auf, den ich bisher je gehört hatte:
Gib mir die Gelassenheit, die Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann
Gib mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann
Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden
Dann gab`s die 12 Schritte, die haben wir besprochen und dann konnte man frei über Probleme mit dem Essen reden.
Diese Gruppe war auch nur für uns „Essies“, weil das Thema Essen in den anderen Runden kaum zur Sprache kam, da ging es um die Sachen hinter dem Symptom. Aber hier konnte man sich mal so richtig „auskotzen“ und wenn es nur um die blöde Butter ging!
Am Wochenende war keine Therapie, da kam Besuch oder wir sind in die Stadt, später dann auch mal nach Absprache nach Nürnberg oder Würzburg mit dem Zug. Das war dann Teil der Therapie, in die normale Welt hinaus und schauen, wie wir damit klar kommen. Wobei mir das dann jedesmal so vorkam, als seien wir die Normalen, weil wir offen und ehrlich waren, vielleicht eben einfach nur zu sensibel für diese Welt und die da draußen die eigentlichen Kranken, weil sie trotz der Kälte und dem ganzen „schönen Schein“ noch nicht einmal hellhörig wurden, sondern stumpfsinnig jeden Tag mit dem gleichen Trott vor sich hinlebten.
Wie auch immer, sobald wir das Klinikgelände verließen, sei es nur für einen Spaziergang oder einen kleinen Einkauf in der Stadt, mussten wir uns eintragen und auch wieder zurückmelden. Schließlich hatte das Team ja die Verantwortung über uns. In Fällen, wo man merkte, da ist einer, der verliert gerade die Kontrolle, wurde relativ schnell eingeschritten. Da hieß es dann ein paar Tage Psychiatrie, bis der Zustand wieder besser war.
Bei einer Patientin mussten sie die Glühbirnen raus schrauben, damit sie die nicht nahm um sich selber zu verletzen. Eine 14Jährige hat sich den kompletten Arm, vom Handgelenk bis zum Oberarm mit einer Rasierklinge fein säuberlich im Abstand von jeweils einem halben Zentimeter aufgeritzt. Mit dem sexsüchtigen Patienten bin ich aneinandergeraten, weil er mich immer so eigenartig angeschaut hat. Als ich ihn öffentlich darauf hingewiesen habe, ist er später zusammengebrochen und erzählte mir dann, dass er in mir immer seine Tochter sieht und nicht damit klar kommt, dass da auch sexuelles Verlangen dabei ist.
Wieder eine Andere war wochenlang fröhlich und aktiv, ich hatte mich schon gefragt, was mit ihr eigentlich los wäre, da ist sie von einem zum anderen Tag einfach „weg“ gewesen. Sie war bei mir in der Gruppe und plötzlich mittendrin war sie nicht mehr ansprechbar. Augen zu und das war`s. Einen Tag später ist sie in die Psychiatrie abgeholt worden und kam erst nach vier Tagen wieder zu uns zurück.
An einem anderen Tag war am Abend eine Patientin nicht zum Essen erschienen, es stellte sich heraus, dass sie abgehauen war - mitten in der Nacht haben sie sie dann mit Hilfe der Polizei wieder aufgegabelt. Sie war hochgradig selbstmordgefährdet gewesen. All das gehörte mit dazu und es war ok. Ich hab mich trotzdem so zu Hause gefühlt, weil ich nicht mehr die Einzige war, die sich komisch verhielt. Hier fühlte ich mich dazugehörig, verstanden und endlich nicht mehr wie eine Aussätzige!
Ich weiß noch wie ich mit meiner besten Freundin Lisa im Malraum ein Bild gemalt habe – die Aufgabe war, sich selber zu malen, sich mit irgendetwas darzustellen, was unserer Empfindung über uns selbst nahe kam. Ich war gerade dabei, eine Zwiebel zu malen, das war für mich ein treffendes Bild. Ich dachte mir, so bin ich, ganz tief drinnen ein weicher Kern und verdammt viele Schalen drum herum, damit ja keiner mich sehen kann. Lisa hat mich gefragt, was ich da male und ich hab`s ihr erklärt. Da fing sie plötzlich an zu weinen und erzählte mir, dass sowohl ihr Vater als auch ihr Onkel sie vergewaltigt hatten!
Das war das erste Mal, dass sie darüber gesprochen hatte und für sie
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