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Mandels Buero

Mandels Buero

Titel: Mandels Buero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berni Mayer
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Edelstein hatte uns fast aus dem Fall hinausgegrault. Und jetzt kalter Schweiß und ein Ziehen im Bauch, wie man es sonst nur vom Verliebtsein kennt. Jetzt nistete sich die Angst ein, dass es lebensgefährlich werden konnte. Zumindest für mich. Weil der Mandel sich immer irgendwie aus Misslichkeiten herauswand. Weil der Mandel immer weich fiel. Und ich immer der war, den die ganze Gewalt des Aufpralls erwischte.
    Sie schoben uns einen Gang entlang, vorbei an vergitterten Ausstellungszimmern, in denen sich Devotionalien der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik befanden. Sauber aufgereihte Uniformen in Plastikhüllen mit Medaillen in Schaukästen davor. Im Raum daneben eine Wand voller Gasmasken, von der Decke hing eine Puppe im Kampftaucheranzug. Für meinen Geschmack höchst makaber, so eine kommentarlose Aufreihung. In einem anderen Raum ein Altar für schwere Waffen auf einem Tischtuch aus rotem Samt und besonders kurios: ein Zimmer voller holzversetzter Terminals mit Computern und Druckern aus einer Zeit, in der es meines Wissens noch keine Drucker und Computer gegeben hat.
    Ich wusste nach wie vor nicht, wo wir uns befanden, aber der Mandel hat es später in mich hineindoziert. Dieses Monstrum von einem Gebäude war ein sogenanntes Seebad, das die Prokuristen des Dritten Reichs hatten bauen lassen, um ihrem Volk ein einheitliches Urlaubserlebnis an der Ostsee zu bieten. Den »Koloss von Prora« nannte man das Untier im Volksmund, hat der Mandel gesagt. Im Zuge der ideologischen Gleichschaltung wollte man hier Urlaub nach Vorschrift durchsetzen – so was können sich auch nur die Deutschen ausdenken – , aber so richtig fertig ist das Gebäude wohl nie geworden. Es war nur passend, dass nach dem Krieg irgendwann die NVA hier ihre Zelte aufschlug. Und vorübergehend auch die Bundeswehr. Kurzzeitig ist hier auch mal eine großzügig angelegte Jugendherberge eingezogen, aber entweder gab es nicht genug jugendliche Rechtsekzeme, die hier ihre Freizeit verbringen wollten, oder das Ding war selbst für Campingtouristen zu hässlich.
    Damit der Laie sich ein Bild von der ursprünglich intendierten Gemütlichkeit machen konnte, hatte man ein paar der Gästezimmer wieder originalgetreu hergerichtet. Und es war gerade diese Originaltreue, die bestialisch auf mich wirkte.
    Der Mandel und ich blickten in einen engen Raum, der in der Hauptsache aus zwei frisch gemachten Betten bestand. Die Betten sahen mit ihren Metallrahmen wie Krankenhausbetten aus. Rechts von den beiden Betten standen ein kleiner Holztisch und zwei Holzstühle. Ein großes Fenster ging vermutlich zur See hinaus, es war vergittert und halb verhüllt von zwei orange-braunen Vorhängen. Vor dem Fenster ein kleiner Servierwagen. Auf jede der Bettdecken hatte jemand eine weiß-rosarote Rose gelegt. Depression war der erste Eindruck, egal, in welchem Jahrzehnt man lebt. Selbst mit einem Plasma-Fernseher und einer Minibar hätte dieses Zimmer einem nicht das Gefühl von Urlaub vermitteln können. Im besten Fall wirkte es wie eine Gefängniszelle, auf mich machte es eher den Eindruck einer letzten Ruhestätte. Die Rosen auf dem Bett waren die Blumen auf unserem Grab.
    »Schönen Urlaub und Heil Hitler«, sagte der Wulstige mit dem Mittelscheitel, und der Pickelige lachte. Das hatte ich mir sowieso immer gedacht, dass selbst die Rechtsextremen so ein »Heil Hitler« albern fanden. Der gut gelaunte Pickelige drehte mich dann spontan zu sich und schlug mir ins Gesicht, so dass ich rückwärts in den Raum taumelte, direkt auf das Bett. Der Mandel wurde hinterhergeschubst, aber ich weiß nicht, ob man ihn auch geschlagen hatte. Es wäre typisch, wenn es nur wieder mich getroffen hätte. Zumindest reichte sein Schwung nicht aus, um auf mich draufzufallen.
    Eine Weile lag ich so da, auf dem Rücken, den Blick auf die niedrige Decke des Gästezimmers vom Koloss von Prora gerichtet. Blut, das mir ursprünglich aus dem Mund gelaufen war, lief wieder in den Mund zurück, weil ich mit der Zungenspitze darin herumbritzelte. Der Mandel hatte sich mittlerweile den Bezahlt-Stempel von der Stirn gewischt, aber ein grauer Fleck war übrig geblieben. Er versuchte, mit Gewalt die Tür zu öffnen, wirkte aber nicht überrascht, als es ihm nicht gelang. Ich unternahm nichts. Es war gar nicht der Schlag ins Gesicht, der mich so apathisch auf dem Bett liegen ließ, es war der Schwindel.
    »Wer war das Mädchen? Bevor man uns einkassiert hat, da hast du gesagt, du

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