Mandys Verlangen
Porzellanpüppchen standen sie dann neben ihren Eltern. Nick, der Älteste, im schwarzen Anzug mit Seidenkrawatte. Seine Schwestern Abigale und Blanche in gelben Rüschenkleidern, die bei jeder Bewegung leise raschelten.
Mandy und ihre Geschwister hatten niemals Rüschenkleider oder dunkle Anzüge besessen. Sie hatten auch nicht die vornehme St. Alicia School in Ponchtuola besucht, sondern die ganz normale staatliche McGreenwood School. Aber sie waren fröhlich gewesen, hatten sich beim Spielen Arme und Beine am mannshohen Bambusgras zerschnitten, das an den Ufern des Flusses wuchs. Sie hatten Jagd auf Wasserschlangen gemacht, winzige Bambusblattboote gebaut und waren abends vor Dreck starrend, aber glücklich und todmüde nach Hause gegangen, um fröhlich eine Mahlzeit einzunehmen, bei der man nicht andauernd darauf achten musste, dass man das Besteck richtig hielt.
Ja, sie hatten trotz der ewigen Finanzprobleme ihrer Eltern eine glückliche Kindheit verlebt. Und nun, während Mandy in ihrem Wagen saß, den Blick starr durch die Windschutzscheibe auf die Fassade des mehrstöckigen Gebäudes gerichtet, in dem sich ihre Agentur befand, wurde ihr bewusst, dass auch das neidvolle Schielen auf die reichen Clayton-Kinder Teil ihres Glücks gewesen war.
Sie lächelte unwillkürlich, als ihr jener Sommernachmittag ins Gedächtnis kam, an dem sie Blanche Clayton einen Knallfrosch vor die Füße geworfen hatte und die arme Blanche vor Schreck in den Fluss gefallen war. Blanche war zwar mitsamt ihrem schicken Rüschenkleid schnell wieder ans Ufer geklettert, aber die Flüche und Verwünschungen, die sie Mandy hinterhergerufen hatte, hatten das Bild der kleinen, feinen Lady gründlich zunichte gemacht.
Schluss jetzt mit den Erinnerungen! Mandy zog den Zündschlüssel ab, griff nach der Aktentasche, die auf dem Beifahrersitz lag, und stieg aus.
Stacy-Joan, ihre Sekretärin, blickte erstaunt auf, als Mandy kurz darauf das helle, geräumige Vorzimmer betrat. Ein Lächeln flog über Stacys Züge. Ihre Augen leuchteten in dem frischen, schokoladenbraunen Gesicht, dessen Teint makellos war.
»Hallo, ich habe dich erst gegen Mittag erwartet.«
Mandy stellte die Tasche achtlos auf den Empfangstresen und ging zum Kaffeeautomaten. Wie immer funktionierte er erst, nachdem sie ihm einen Tritt versetzt hatte.
»Clem hat überraschend seinen Dienst mit einem Kollegen getauscht.« Sie nahm den Becher aus dem Automaten, trat noch einmal gegen das Gehäuse und wartete darauf, dass auch der zweite Becher in die Halterung fiel. »Wir haben den Besuch auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.«
»Schade für dich, aber gut für Clarence Hallgar.« Dankbar griff Stacy-Joan nach dem Becher, den Mandy ihr reichte, und nippte vorsichtig daran. »Er möchte die Figurensammlung, die er von seiner Mutter geerbt hat, gegen Bruch und Diebstahl versichern lassen.«
Mandy musste unwillkürlich lächeln, als sie das hörte. Clarence Hallgar war Ende fünfzig, ledig und nie über die Grenzen der County herausgekommen. Seine Mutter hatte ihn derart unter ihrer Fuchtel gehalten, dass er ohne Frydas Erlaubnis nicht mal in ein Sandwich gebissen hätte.
Jeden Samstagmorgen, punkt neun Uhr, hatte Clarence die Lieblinge seiner Mutter, fünfundzwanzig extrem kitschige Porzellanfiguren, in den Garten getragen, diese dort auf einen Klapptisch gestellt und sie dann Stück für Stück mit einer milden Seifenlauge abgewaschen. Den gesamten Vormittag hatte er damit verbracht, die Figuren zu baden und trocken zu wischen, und sich damit zum Gespött der Dorfjugend gemacht. Der Spottname »Chinadoll« war so im Laufe der Jahre zu Clarences zweitem Vornamen geworden. Eigentlich hatten alle erwartet, dass er sich nach dem Tode seiner Mutter von den auferlegten Zwängen, vor allem aber von ihrer Kitschsammlung, trennen würde. Bisher war jedoch nichts dergleichen geschehen. Clarence wohnte immer noch in dem hellblauen Häuschen am Ende der Witchfield Street und schleppte Samstagmorgens punkt neun Uhr das Figurenensemble in den Garten, um es dort sorgfältig zu reinigen.
In den sechs Jahren, die Mandy nun in Summersprings lebte, hatte sie vor allem eines begriffen: Manche Dinge änderten sich nie – egal ob in Jacquody/Louisiana oder in Summersprings/Colorado. Die Menschen tickten überall gleich.
Stacy grinste, während sie ihrer Chefin die entsprechenden Formulare reichte. »Wahrscheinlich will Clarence aus der Sammlung noch ein bisschen Geld herausschlagen«,
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