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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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betrogen fühlt.
    »Na schön«, sagte sie. »Dann sehe ich dich, wenn du mir über den Weg
läufst, nehme ich an.«
    »Bald«, sagte er gleichmütig.
    »Wann auch immer«, erwiderte sie und legte auf.
    Er fand das Album von John Coltrane und Thelonious Monk, ihr
Weihnachtsgeschenk für ihn, und legte die Platte auf. Dann zündete er sich eine
Zigarette an, setzte sich und lauschte, wie Coltrane die klagende Grundmelodie
von Ruby, My Dear spielte, und hatte das Gefühl,
gleich in Tränen auszubrechen.
    Mein Gott, ich werde noch zu einer weinerlichen alten Schwuchtel,
dachte er, als er eine Träne über die Wange rollen fühlte. Ich muß wieder damit
anfangen, Dinge in Schachteln zu tun.
    Es war eine Erinnerung aus der Zeit seiner Ausbildung, einer der
wenigen nützlichen Grundsätze, die er sich damals gemerkt hatte. Alles, was
Sie im Augenblick nicht bewältigen können, hatten sie
ihm beigebracht, sollten Sie in eine mentale Schachtel legen.
Verschließen Sie sie und vergessen Sie alles. Wenn Sie diese Disziplin beherrschen,
haben Sie sich organisiert und verfügen über eine Reihe kleiner verschlossener
Schachteln, die Sie nur öffnen, wenn die richtige Zeit gekommen ist... Dann
nehmen Sie sich eine Schachtel nach der anderen vor.
    Er bewunderte diese Technik und benutzte sie oft, doch jetzt schien
sie ihm zu entgleiten.
    Ich habe so viele Schachteln, dachte er in einem Augenblick gloriosen
Selbstmitleids. Ich habe meine Keneally-Schachtel und meine
Madeleine-Schachtel, meine McGuire-Schachtel, meine Morrison-Schachtel und
meine Dieter-Schachtel. Und meine Anne-Schachtel, und das ist diejenige, die
weggeschlossen werden muß, und zwar jetzt gleich. Das ist die gefährliche, das
ist die Schachtel, die Liebe und Furcht enthält. Das ist diejenige, die mich
ausrutschen lassen könnte, die den fatalen Fehler auslöst. Und habe ich diese
Woche nicht schon genug Leute umgebracht, ohne auch noch die Frau zu töten, die
ich liebe, und genau davon spreche ich jetzt - stopf alles in eine Schachtel
und mach sie zu.
    Er rauchte seine Zigarette zu Ende, ging dann ins Badezimmer, wusch
sich das Gesicht und gurgelte mit einem Mundwasser. Als die kleinen Rituale
erledigt waren, hatte er seine Gefühle in die kleine mentale Schachtel mit der
Aufschrift Anne gestopft und dafür die unter Howard,
Michael abgelegte Schachtel geöffnet. Jetzt wappnete er sich für
das, was er tun mußte.
    Was in diesem Fall bedeutete, in Sardi's Restaurant zu gehen.
     
    Tony Cernelli erkannte ihn in dem Augenblick, in dem er eintrat.
    »Sie sind der Scheißkerl aus der Bar«, sagte Cernelli.
    »Das ist eine ziemlich genaue Beschreibung«, sagte Walter. »Darf ich
mich revanchieren, indem ich Sie zum Essen einlade? Obwohl ich nicht sicher
bin, daß das Essen bei Sardi's es genau aufwiegt.«
    »Ich bin sehr eigen darin, mit wem ich mich an einen Tisch setze«, gab
Cernelli zurück. »Was wollen Sie eigentlich?«
    »Im Augenblick will ich einen Tisch«, erwiderte Walter.
    Sie bekamen einen an der Wand unter einer Karikatur von Alexander
Woolcott. Es war früh, und die Theater hatten spielfrei, so daß das Lokal
ungewöhnlich leer war. Ein lustloser Kellner nahm ihre Bestellungen für einen
Martini, eine Coke und eine Portion Pommes frites entgegen.
    »Sie wünschen eine Portion Pommes frites?« fragte der Kellner Walter.
    »Bitte.«
    »Eine Portion Pommes frites«, wiederholte der Kellner.
    »Eine Portion Pommes frites.«
    »Sie wollen nur Pommes frites.«
    »Was der Grund ist, weshalb ich sie bestellt habe.«
    »Zu einem Martini wollen Sie Pommes frites.«
    »Richtig«, bestätigte Walter und fügte hinzu: »Mit etwas Essig extra,
bitte.«
    Der Kellner machte eine Pause, damit jeder begriff, daß er hier nur
seine Zeit verschwendete, und ging dann los, um ihre Bestellung weiterzugeben.
    Während dieses Wortwechsels hatte Tony Cernelli mürrisch schweigend
dagesessen. Immerhin hatte er sich der Gelegenheit entsprechend angezogen, wie
Walter feststellte. Er trug über seinen Baumwollhosen und den Slippern einen
Blazer und eine Krawatte.
    »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, sagte Walter.
    »Was soll das alles?« fragte Cernelli. »Auf Ihrer Mitteilung hieß es,
es gehe um eine Angelegenheit, die für Michael wichtig sei.«
    »Welcher Natur ist Ihre Beziehung zu Michael Howard?« fragte Walter.
    »Was gibt Ihnen das Recht...“
    »Ist sie sexueller Natur?“
    »... Ihre Nase in...«
    »Wer ist Howard Benson?« fragte Walter. »...
fremder Leute

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