Manhattan Blues
wenig egozentrisch ist, aber Tatsache bleibt Tatsache: Dies ist meine Stadt.
Ich habe den Heimvorteil und die Masse an Menschen auf meiner Seite,
und werde auch noch Manhattan dazunehmen - falls nötig, auch die Bronx und
Staten Island -, und wenn ich nichts weiter tun muß, als einen verzweifelten
Cop, zwei FBI-Agenten, einige gedungene Schläger und ein paar professionelle
Killer abzuhängen und die Ware um neun an die Feinde meines Landes zu
übergeben, muß ich eben nur das tun und mehr nicht.
Und falls in meiner verzweifelt geplagten Psyche die kräfteraubende
Frage auftauchen sollte —wie kannst du tun, was du heute abend tun mußt? —,
nun, die Antwort steckt schon in der Frage, nicht wahr, mein Junge?
Er stand auf und zog die Fenster Jalousien hoch. Manhattan in der
Abenddämmerung war einer seiner liebsten Anblicke. Wenn die Stadt sich langsam
wandelte, den grauen Tagesanzug ablegte und Pastelltöne annahm, um schließlich
schwarze und funkelnde Abendkleidung anzulegen, war das eine Verwandlung, die
seine erschöpfte Seele meist beruhigte.
Auf dem gegenüberliegenden Gebäude spiegelte sich der Sonnenuntergang
in einem schwachen Orange. Er sah, wie 16 C aufstand und ans Fenster trat.
Diesmal winkte Walter. Es konnte nicht schaden, Manieren zu zeigen.
16C winkte zurück, langte dann nach unten und hielt etwas ans Fenster.
Ein Schild. Mit einer Telefonnummer. Dann zog 16 C die Jalousien herunter, und
das Licht ging aus.
Schön, schön, schön, dachte Walter. Schön, schön, schön.
Er griff zum Telefon und rief unten in der Lobby an.
»Malion«, fragte er gleichmütig. »Wie würde es Ihnen gefallen, einen
kleinen Aufruhr anzuzetteln?«
Sehr, wie sich herausstellte. Als Walter den Fahrstuhl verließ und
die Halle voller Menschen betrat, ging Mallon, der in seiner scharlachroten
Uniform hinter seinem Tresen eine prachtvolle Figur abgab, zum Zeitungsstand
hinüber und trat an Detective Sergeant Samuel Zaif heran, der im Augenblick
nichts tat, sondern nur herumzulungern schien.
Mallon packte Zaif mit einem eisernen Griff am Handgelenk und
brüllte: »Halt, Sie Dieb! Ich habe genau gesehen, wie Sie diese Brieftasche
genommen haben!«
Während Mallons Darbietung in Walters Augen die Subtilität eines,
sagen wir, Alec Guinness fehlte, hatte sie doch die volltönende Wucht eines
Laurence Olivier, und die meisten Männer in der Halle griffen sofort mit den
Händen in ihre Jackentasche, um nachzuprüfen, ob die Brieftasche noch da war.
Walter nicht. Er ging weiter und machte zunächst einen weiten Bogen
nach rechts, um zum Ausgang der 48. Straße zu kommen, und kehrte dann auf
giffordeske Art gegen den Strom zurück und ging die Treppe zur U-Bahn hinunter.
Er ging nicht hinaus, sondern erst hinunter und dann hinaus, und das
verschaffte ihm die paar Sekunden, die er brauchte, um das offene Feld zu
erreichen.
Nun ja, das und Mallons Ablenkungsmanöver hinter ihm. Denn als er
seinen Schachzug machte, konnte Walter Mallon brüllen hören: »Polizei!
Polizei!« sowie Zaifs irritierte (um es gelinde zu sagen) Reaktion in Form
eines: »Sie Knallkopf, ich bin die Polizei!« Dann versuchte Zaif sich
freizumachen, was Mallon veranlaßte, Zaif eine rechte Gerade an die Schläfe zu
verpassen. Dann wurde das Ganze zu Finnegan's Wake, als Stone und Madsen Walter
entdeckten, der gerade die Treppe hinunterstürmte, und sich durch die Menge
hindurchzukämpfen versuchten, um zu ihm zu gelangen.
Was sie durchaus hätten schaffen können, wäre da nicht die
rechtzeitige Intervention der Mallonettes gewesen, die wie aus dem Nichts
auftauchten, um sich ins Getümmel zu stürzen. Der älteste Junge — war es Liam?
fragte sich Walter — packte den unglücklichen Stone beim Revers und hob ihn,
ganz gehorsamer Sohn, mit einem rührenden Ausruf: »Ich hab den zweiten, Daddy!«
von dem polierten Fußboden in die Höhe. (Denn schließlich weiß jeder
Großstadtbewohner, daß die besten Taschendiebe, die nicht in Ossining leben,
sondern in gemütlichen Wohnungen der East Side, nicht allein arbeiten, sondern
in Teams. Der eine schnappt sich die Brieftasche, die er dann sofort an den
zweiten weitergibt.)
Dieses Tohuwabohu ließ Keneallys Jungs von der 48. Straße her in die
Halle rennen, denn sie hatten Walter draußen auf seinem gewohnten Heimweg
erwartet. Herein kamen sie nun - und liefen direkt Billy in die Arme, dem
jüngsten Mallon, dem kleinsten Mallon, dem Mallon, der nicht ganz richtig im
Kopf war, und dem Mallon, den das
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