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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Anwerbebüro der Marines am Times Square als
zu gewalttätig abgelehnt hatte. Jetzt stürzten sie herbei, alle drei, kräftige
Burschen mit stämmigen Beinen und mächtigen Brustkästen, und Billy »Böse Saat«
Mallon sah keine andere Möglichkeit, als sich der Länge nach auf den Fußboden
zu legen und auf die Angreifer zuzurollen, um ihnen
so den Weg zu versperren. Und genau das tat er, holte sie damit von ihren
kräftigen Beinen und verwandelte das erhabene Foyer dieses Tempels von Kommerz
und Industrie in eine menschliche Bowlingbahn.
    So schenkten Mallon und die Mallonettes Walter die kostbaren wenigen
Augenblicke, die ihm einen Vorsprung vor seiner buntscheckigen Verfolgerschar
verschafften, so daß er weit vor ihnen das Untergeschoß des Rockefeller Center
erreichte.
    Diese als Traum jedes Pendlers entworfene Untergrund-Ebene verlief
unter den verschiedenen Gebäuden und verband sie alle miteinander und dem
U-Bahn-System der Linien F, N und R. Es war durchaus möglich - Angestellte von
Forbes und Forbes hatten es wiederholt bewiesen -, den ganzen Arbeitstag zu
verbringen, ohne auch nur einmal die echte Stadtluft zu atmen. (Es ging sogar
das Gerücht, »Dickless« Tracy sei noch nie draußen gewesen, sondern komme immer
mit der U-Bahn und verzehre seine sämtlichen Mahlzeiten im Coffee Shop unten
neben den Fahrstühlen.) Es gab Zeitungsstände und Schuhputzer, Restaurants,
Bekleidungsgeschäfte, sogar Blumenläden, die dem vergeßlichen Ehemann eine
letzte Chance gaben, sich zu Hause ein herzlicheres Willkommen zu sichern.
    Walter hatte für diese unterirdische Ebene immer ambivalente Gefühle,
denn diese Troglodyten-Luft war für seinen Geschmack ein wenig atavistisch,
doch jetzt schob er diesen Vorbehalt beiseite und schloß sich dem Gedränge von
Pendlern an, die in dem langen Mittelkorridor der U-Bahn zustrebten. Er
brauchte seine Verfolger nicht abzuschütteln — obwohl er auch nichts dagegen
gehabt hätte —, sondern wünschte sich vielmehr einen anständigen Vorsprung. Es
war gut, daß sein Ehrgeiz so bescheiden war, denn als er, den Rat von Satchel
Paige ignorierend, über die Schulter blickte, sah er, daß Agent Madsen dabei
war, ihn einzuholen.
    Ah, aber es ist zu spät, Agent Madsen, denn meine Sturmreihe hat mich
auf das offene Feld katapultiert, und ich bin der Frank Gifford des städtischen
Straßennetzes und werde mich nicht von hinten abfangen lassen.
    Also drängte sich Walter zwischen zwei Pendler, ging dann quer zum
Strom und schlich an der Wand entlang, überquerte den Korridor diagonal und
wurde wieder schneller. Er konnte spüren, wie Madsen sich abmühte, um mit ihm
Schritt zu halten.
    Doch es gibt zu viele menschliche Hindernisse, die ihm den Weg
verstellen, dachte Walter und segnete die sonst verfluchte Rush hour und die
Sicherheit in der großen Menge. Er erreichte das Drehkreuz zur U-Bahn weit vor
Madsen, warf seine Münze ein und eilte über den Bahnsteig, als der Zug in
Richtung Downtown einlief.
    Er schaffte es zum zweiten Wagen von vorn und sprang hinein, kurz
bevor die Türen zugingen. Er hatte sich gerade hineingequetscht und einen
Halteriemen gefunden, an dem er sich festhalten konnte, als der Zug mit einem
Ruck anfuhr. Und dann stehenblieb. Die Türen gingen wieder auf und schlossen
sich wieder. Als der Zug die Station verließ, stellte Walter sich vor, daß er
reichlich Gesellschaft hatte.
    Zwei Stationen weiter tauchte er in der Sardinenbüchse der Grand
Central Station zur Rush hour auf. Selbst als er sich durch das Chaos
hindurchmanövrierte, konnte er Madsen hinter sich spüren, Madsen und vielleicht
auch die anderen - denn selbst das, was die Mallonettes leisten konnten, hatte
seine Grenzen -, doch das war in Ordnung so. Er brauchte nur einen Vorsprung
aufrechtzuerhalten, einen Vorsprung von wenigen Sekunden.
    Was er mit knapper Not schaffte. Von einem langsamen Dahintrotten
konnte jetzt keine Rede sein, er drehte sich auch nicht dauernd um, denn dies
war ein klassisches Titanic-Rennen, ein Sprunglauf - falls man das in einem
Bahnhof von Manhattan zur Hauptverkehrszeit sagen kann — zu den Schließfächern
auf der Hauptebene. Er tastete in der Tasche nach dem Schlüssel und zog ihn
heraus. Für eine langwierige Fummelei war jetzt keine Zeit. Er erreichte die
Hauptebene, schob sich zur Wand mit den Schließfächern durch und steckte den
Schlüssel ins Schloß, den Dieter ihm zugesteckt hatte. Seine Hand zitterte
leicht, als er das Schließfach öffnete und den braunen

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