Manhattan Blues
die Zeitung wieder über den Tisch.
»Das hat er auch«, erwiderte Forbes. »Die Keneallys sind über die
Feiertage in der Stadt und spielen bei dieser kleinen Soiree für rund hundert
oder so ihrer engsten Freunde die Gastgeber. Jedenfalls wünscht er uns für die
Dame.«
»Wir sollen seine Frau im Auge behalten?« fragte Walter.
»Das will er«, sagte Forbes. »Und er hat uns außerdem informiert, daß
sie es eher unauffällig wünscht.«
»Nun, dann bin ich der Richtige«, erwiderte Walter.
Ich bin wahrhaftig für meine Unauffälligkeit berühmt.
Forbes jr. sog an der Pfeife und sagte: »Es sollte eine Kleinigkeit
sein. Geben Sie Miss Bradley Ihre Größen, dann wird sie Sie mit dem
erforderlichen Smoking ausstatten. Drinks werden um acht gereicht, dann kaltes
Büffet und Tanz. Sie wollen die Gäste um Mitternacht wieder draußen haben.«
Bevor ihre Kutschen zu Kürbissen werden und ihre Lakaien zu Mäusen,
dachte Walter.
»Ich habe passende Kleidung«, sagte er.
Forbes zog eine Augenbraue hoch und sagte dann: »Wissen Sie, ich habe
mir schon gedacht, daß Sie für diesen Job besser geeignet sein würden als
Carter. Sie haben den Hintergrund.«
Das habe ich tatsächlich, mußte Walter ihm recht geben.
Forbes jr. legte die Pfeife hin, machte seine Schreibtischschublade
auf und überreichte Walter einen kleinen Umschlag.
»Tut mir leid, Ihnen den Weihnachtsabend zu verderben«, sagte er.
»Dies ist ein kleines Zeichen meiner Wertschätzung, weil Sie es so gut
aufgenommen haben.«
»Das ist nicht nötig, Mr. Forbes.«
»Zwei Karten für das Spiel der Giants gegen die Colts am Sonntag im
Yankee Stadium?«
»Das akzeptiere ich«, fügte Walter hinzu. »Football ist eine meiner
wenigen Leidenschaften.«
»Sie führen ein behütetes Leben«, bemerkte Forbes jr.
Dein Wort in Gottes Gehörgang, dachte Walter.
Mittagszeit am Heiligen Abend auf der Fifth Avenue, dachte Walter, als
er auf dieser Straße entlangging. Im Herzen des Tages, im Herzen der Stadt, im
Herzen der Welt. Die königliche Stadt am besten Tag des Jahres.
Die Fifth Avenue um die Mittagszeit des Heiligen Abends hatte eine
fast greifbare Aura gutmütiger Hektik. Passanten, die in letzter Minute
Geschenke kauften und überquellende Einkaufstüten in den Armen hielten und das
Kinn in den Mantel gesteckt hatten und in wütender Konzentration starr
geradeaus blickten, unterwegs zum nächsten Kauf, eilten von einer Tür zur
nächsten. Ehemänner und Freunde stapften in dieser letzten möglichen
Lunch-Stunde unsicher am Rande des Stroms der Fußgänger auf und ab und hofften,
die Inspiration aus einem Schaufenster leuchten zu sehen. In Gestalt des
Geschenks. Die Weihnachtsmänner und Soldaten der Heilsarmee standen
wie Inseln im Strom und hofften, Treibgut des kapitalistischen Überschusses
würde an ihre Strände gespült werden. Das Klirren des Kleingelds in ihren
Sammelbüchsen betonte die sentimentale Konservenmusik, die von Ladenfront zu
Ladenfront wechselte, sich aber dennoch gleichblieb. Schuhe, die zu einem Taxi
eilten, knirschten auf dem festgetretenen schmutzigen Schnee. Freunde
begegneten unerwartet anderen Freunden und tauschten Nachrichten darüber aus,
was in welchem Geschäft noch zu haben war. Besorgte Augen blickten über die
Menge hinweg, um nach dem geliebten Menschen Ausschau zu halten, der zu spät zu
dem vereinbarten Lunch erschien, und inmitten von all dem beschattete Walter
Withers fröhlich Michael Howard.
Fröhlich, weil Howard hochgewachsen und in der Menge leicht
auszumachen war. Fröhlich, weil Walter froh war, nicht mehr hinterm
Schreibtisch sitzen zu müssen. Fröhlich, weil Walter jetzt das unverkennbare
Vibrato der Three Chipmunks ausmachen konnte, die Christmas,
Christmas time is here... sangen (sangen?), den
Weihnachtshit des Jahres. Aus Gründen, die weder er noch sonst jemand ermessen
konnte, mochte Walter die Three Chipmunks, besonders den einen mit Namen Alvin,
der immer angebrüllt wurde. Fröhlich, weil es Heiligabend um die Mittagszeit
auf der Fifth Avenue war und es keinen anderen Ort in der Welt gab, an dem
Walter jetzt lieber gewesen wäre.
Fröhlich, weil es eine Kunst war, sich auf einem überfüllten
Bürgersteig einer solchen Stadt zu bewegen.
Nun, »Kunst« ist vielleicht ein bißchen hoch gegriffen, gestand Walter
sich ein, aber ganz entschieden ein Handwerk. Man muß die Öffnungen riechen,
bevor sie sich auftun, die Lücken im Gewimmel ahnen und sich rechtzeitig in
Position bringen, um
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