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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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bist ja ein richtiger Angsthase.«
    »Sag ich doch.«
    Walter wußte, daß Dietz' sexuelles Draufgängertum nur eine Tarnung
war, eine bewußte Legende, die er sich ausgedacht hatte, um sein Grinsen im
Gesicht festgeklebt zu halten. Er war seiner Frau Mary absolut treu und liebte
sie sehr, was die zentrale Tragödie seines Lebens war.
    »Wer ist an der Reihe, in den Fonds einzuzahlen?« fragte Dietz.
    »Du.«
    »Mist«, sagte Dietz. »Kann ich mir eine Quittung leihen?«
    »Nur unter der Bedingung, daß du dann gehst und mich wieder in Ruhe
arbeiten läßt«, erwiderte Walter. Er wählte eine Quittung der Pennsylvania
Railroad und gab sie Dietz.
    »Frohe Weihnachten, Walter.«
    »Frohe Weihnachten, Bill«, sagte Walter. »Bitte auch für Mary.«
    »Ich werde es ihr ausrichten.«
    Dietz ging, und Walter hatte sich gerade der nächsten Akte zugewandt,
als seine Gegensprechanlage piepte. »Withers. Personalüberprüfung.«
    »Mr. Withers, Mr. Forbes würde Sie gern gleich in seinem Büro sehen.
Wenn es Ihnen recht ist.«
    Es ist mir ganz und gar nicht recht, besten Dank, dachte Walter, als
er die neue Akte zuklappte und aufstand, um sein Jackett anzuziehen.
     
    Im Büro von Forbes jr. hatte man tatsächlich Aussicht auf den
Weihnachtsbaum. Und die Rockefeller Plaza, die Eisbahn und das NBC-Gebäude.
    Forbes jr. starrte tatsächlich aus dem Fenster und versuchte gerade,
seine Pfeife anzuzünden, als seine Sekretärin, die unnachahmliche Miss Bradley,
Walter ins Zimmer geleitete. Forbes jr. führte einen ständigen Kampf mit der
Wissenschaft der Thermodynamik, was Pfeifentabak anging. Walter kam es vor, als
hätte der Eigentümer und höchste Chef von Forbes und Forbes bei jeder ihrer
persönlichen Begegnungen mit dieser Pfeife zu kämpfen. Seine dünnen Wangen
sogen, sein großer Adamsapfel hüpfte, und seine knochigen Finger drückten unablässig
den Tabak fest. Der Mann schaffte es einfach nicht, seine verdammte Pfeife am
Brennen zu halten.
    »Withers«, inhalierte er. »Vielen Dank, daß Sie vorbeigekommen sind.
Setzen Sie sich bitte.«
    Walter entschied sich für einen Stuhl aus schwarzem Leder und Chrom,
der genauso unbequem war, wie er aussah.
    »Sie leisten gute Arbeit für uns«, sagte Forbes jr., der die glühende
Pfeife zuversichtlich mit den Zähnen festhielt. »Der aufstrebende junge Mann
der Personalüberprüfung.«
    Forbes jr. zwängte sich in einen Stuhl hinter seinem Schreibtisch.
Jetzt, wo Walter wirklich darüber nachdachte, ähnelte der Körper von Forbes jr.
einem Pfeifenreiniger, wenngleich einem Pfeifenreiniger in grauem Flanell mit
einer goldenen Armbanduhr und kurzgeschnittenem Haar. Forbes jr. sog an der
Pfeife, tat, als inhalierte er Rauch, und fragte: »Sie haben die Howard-Akte in
der Mache, nicht wahr, Withers?«
    »Buchstäblich in der Mache«, erwiderte Walter. »Ich fürchte nur, ich
habe sie nicht mitgebracht.«
    Forbes jr. tat nicht mehr so, als würde die Pfeife brennen, stopfte
den Tabak wieder fest, riß ein Streichholz an und hielt es an den Pfeifenkopf.
Er inhalierte und sagte dann: »Er ist doch der mögliche Vizepräsident bei AE,
richtig?«
    »Volltreffer«, erwiderte Walter. Michael Howard stand in der engeren
Auswahl für eine Beförderung zum Vizepräsidenten der Forschungs- und
Entwicklungsabteilung bei American Electronics, einem von Forbes' größten
Kunden.
    »Nun, das wollen wir ganz gewiß nicht sausen lassen«, bemerkte Forbes
jr. traurig.
    »Ich bin gerade dabei, mit der Beobachtung anzufangen«, sagte Walter.
    »Irgendwas Verdächtiges?« hakte Forbes jr. nach.
    »Eigentlich nicht«, sagte Walter. »Ich versuche nur gründlich zu
sein.«
    Der Hauptkonkurrent von American Electronics war dem Unternehmen in
den letzten achtzehn Monaten mit zwei neuen Produkten zuvorgekommen. Damit war
der häßliche Duft des Mißtrauens in die Büros des Unternehmens gesickert.
    »Nun ja, dann sind Sie beschäftigt«, sagte Forbes jr. unglücklich.
    Walter sagte: »Sie sehen aus wie ein Chef, der einen Angestellten
bitten muß, abends weiterzuarbeiten.«
    Das Gesicht von Forbes jr. hellte sich auf. »Ich hasse es, den
Sklaventreiber zu spielen, Withers, aber ich frage mich, ob Sie für heute abend
schon Pläne haben.«
    Nur eine Tischbestellung im Rainbow Room, dachte Walter.
    »Nichts Besonderes, Chef. Wieso?“
    »Kennen Sie Carter vom Personenschutz?“
    »Nur vom Wasserspender, wenn ich mir was zu trinken hole.«
    Forbes jr. ließ seinem Mund stolz eine Rauchwolke entströmen

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