Manhattan Blues
Einige trugen Krawatten, doch mehr hatten sich Halstücher umgelegt,
und die meisten trugen offene Hemdkragen.
Die Lesbierinnen hatten sich etwas förmlicher gekleidet. Walter sah
mehrere Dinnerjacketts mit Fliegen, einen Smoking und sogar ein paar Mützen
mit Quasten und Troddeln. Einige Frauen waren wie englische Gelehrte gekleidet
oder trugen altmodische Kleider und Schnürschuhe.
»Sind Sie Annes Walter?«
Ein hochgewachsener, dünner, älterer Mann nahm Walters Hand und
stellte die Frage.
»Ich bin Annes Walter«, erwiderte Walter. »Walter Withers.«
»Jules Benoit«, sagte der Mann. »Ich bin so froh, daß Sie endlich diese
Treppe bestiegen haben.«
»Anne liebt den Laden«, sagte Walter.
»Umgekehrt gilt das genauso.«
»Es wird sie freuen, das zu hören.«
»Walter, Sie sind hier sehr willkommen«, fuhr Jules fort. »Wir bitten
Sie nur um Diskretion.«
»Natürlich.«
Ich bin wegen meiner Diskretion berühmt, Mr. Benoit. »Es überrascht
mich aber, daß Paulie nicht hier ist«, fuhr Walter fort.
Es gefiel ihm zu sehen, wie sich die Haut in Jules' Gesicht ein wenig
straffte.
»Paulie kommt nie nach oben«, sagte Jules. »Woher kennen Sie Mr.
Martino?«
Walter zuckte die Schultern, was etwa besagte, jeder, der in der Stadt
etwas darstellt, kennt Paulie. Paulie Martino war Soldat in der
D'Annunzio-Familie, ein Buchmacher, der Geld wusch, indem er es in Lokale wie
das Good Night investierte. Außerdem war es gut, Jules wissen zu lassen, wie
diskret er sein konnte.
»Sie sind aber keiner von den Jungs«, überlegte Jules. »Sind Sie ein
Spieler, Walter?«
»Von Zeit zu Zeit wette ich im Football«, erwiderte Walter. »Aber ich
hoffe, sie behandeln dieses Wissen ebenfalls mit Diskretion.«
»Nun, viel Spaß bei der Party, Walter.«
»Ich mag es, wenn es voll ist.«
Jules seufzte: »Um Weihnachten herum werde ich immer wahnsinnig.«
Die Konversation, von der Walter hier und da einen Fetzen
aufschnappte, war reichlich eklektisch. Er lauschte dem gewohnten New Yorker
Smalltalk über Bücher und Theaterstücke, Restaurants und Bars, darüber, wer
mit wem schlief, wer nicht mehr mit wem schlief und wer bald mit wem schlafen
würde.
Er war überrascht zu hören, daß der Romancier, den er im Plaza gesehen
hatte, und ein anderer Typ, der nichts weiter sein konnte als
Bühnenschauspieler, über das bevorstehende Spiel der Giants sprachen.
»Sport ist ein wesentlicher Bestandteil jeder demokratischen
Gesellschaft«, bemerkte der Schriftsteller. »Sport ist der große Gleichmacher.
Jeder kann über ein Footballspiel sprechen, mehr noch, jeder tut es auch.
Reich, arm, links, rechts, hetero, homo. Damit wird das Eis gebrochen, damit
ein demokratischer Diskurs stattfinden kann.«
Das führte zu einer angeregten Debatte darüber, ob ein Footballspiel
ein homoerotisches Ereignis sei. Walter schaltete sich in die Diskussion ein
und bemerkte, die meisten Footballspieler seien immerhin keine Homosexuellen,
worauf der Romancier entgegnete, Walter würde sich wundern.
»Grundgütiger Himmel, ich muß schon sagen«, sagte der Essayist. »Wie
heißen Sie?«
»Walter.«
»Um Himmels willen, Walter«, sagte der Essayist, »da haben Sie eine
ganze Reihe von Männern, die sich hinhocken und sich präsentieren, und der
Quarterback langt mit der Hand hinunter und greift jedem einzelnen von ihnen in
den Schritt und taucht mit dem Ball auf,
Walter, und dann versuchen sie alle gemeinsam, die Linie der anderen Männer zu
penetrieren. Ich meine, du lieber Himmel, Walter das ist genug unterdrückte
Homosexualität, um Freud auf den Plan zu rufen! Und, und bitte verstehen Sie
mich jetzt nicht falsch, aber kenne ich Sie nicht von irgendwoher?«
»Vielleicht aus dem Plaza.«
»Definitiv aus dem Plaza, und Sie sind der
clevere Bursche, der Sean McGuire hinauskomplimentierte«, sagte der Essayist.
Und fügte dann hinzu: »Da wir gerade von Footballspielern sprechen...«
»Wie auch immer«, unterbrach ihn Walter. »Wen mögen Sie in dem Spiel?«
»Darling, ich mag sie alle, aber wenn Sie mich fragen, wen ich gern
gewinnen sehen möchte, sind es die Giants. Übrigens, da wir gerade von Freud
sprechen...«
Walter unterhielt sich also wirklich gut, wenn man davon absah, daß er
sich keinen Reim darauf machen konnte, weshalb Anne ihm eisige Blicke zuwarf.
Tatsächlich, je mehr er sich zu amüsieren schien, um so eisiger wurden ihre
Blicke. Als man sie bat zu singen, kündigte sie mit fast boshafter
Schadenfreude an,
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