Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
Vom Netzwerk:
Reihe von
Konfrontationen mit einem anderen einzelnen auf die Probe zu stellen — wobei
die schöne Koordination des mehrschichtigen Doppelspiels eher die Ausnahme als
die Regel ist -, unterwirft Football den kampfeslustigen amerikanischen
Individualismus einem gemeinsamen Ziel oder, genauer, den Torpfosten. Jeder
Mann hat seine Rolle, jeder ist von anderen abhängig. Das Teamwork wird durch
die Offensive Line versinnbildlicht, die mit Ausnahme der wirklichen Kenner
anonym und unbesungen bleibt. Die Stürmer mühen sich in einem anscheinend
brutalen Chaos ab, doch in Wahrheit handelt es sich um brutale Präzision, die
ein makelloses Timing und den richtigen Rhythmus verlangt. In der Offensive
Line, dachte Walter, liegt die Essenz des Football, die Essenz des Landes.
    Ja, er grinste in den Spiegel, Baseball ist der nationale
Zeitvertreib, dessen Zeit vorbei ist. Baseball ist das Spiel der Farmer,
Football das Spiel der Fabrikarbeiter. Baseball ist ein Spiel für den Frieden,
Football ein Spiel für den Krieg.
    Auch für den Kalten Krieg, dachte Walter. Weil wir nie wieder wirklich
Frieden haben werden.
    Er wusch sich den Rasierschaum vom Gesicht, betupfte sich die Wangen
mit etwas Old Spiee und ging dann in seine Garderobe, um seinen besten
Sonntagsanzug für das Footballspiel zu holen. Ein frischgestärktes weißes Hemd
an der Haut zu haben belebte ihn mehr als die lächerlichen drei Stunden Schlaf,
die er bekommen hatte. Er schlüpfte in ein Paar graue Wollhosen und setzte sich
dann aufs Bett, um karierte Socken und braune Schuhe anzuziehen.
    Er wählte eine kastanienbraune Strickkrawatte, die zu seiner schweren
Sportjacke aus Tweed paßte. Wieder einmal dankte er dem Schicksal, daß New York
immer noch eine Stadt war, in der man sich dem Anlaß entsprechend kleidete. Er
nahm den silbernen Flachmann, den er seit Yale hatte (Boolah, boolah, schlagt
Harvard, und all das), und füllte ihn mit einem Single Malt Scotch, den er für
eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte. Da er sich versucht fühlte, einen
Schluck zu nehmen, schraubte er schnell den Deckel fest, damit es ihm nicht so
erging wie Oscar Wilde. (»Ich kann allem widerstehen, nur nicht der
Versuchung.«)
    Nein, dachte Walter. Du hast gestern genug Zerstreuung gehabt. Jetzt
ist es höchste Zeit, dich wieder an die Kandare zu nehmen und deine Arbeit zu
machen.
    Properes Aussehen signalisiert, daß man sich in der Gewalt hat, sagte
er sich, als er die Krawatte durch den Hemdkragen zog. Das war einer der eher
gequälten Aphorismen seines Vaters, doch die Beobachtung war klug. Kleider
machen nicht Leute, hatte sein Vater gesagt, sondern
sind nur ein äußeres Spiegelbild des Menschen. Die Leute sind genau das, was
sie scheinen.
    Also kleidete er sich sorgfältig an, setzte einen Topf mit starkem
Kaffee auf und rauchte eine Zigarette, während er darauf wartete, daß der
Kaffee durch die Maschine lief. Er überflog die Schlagzeilen der
Sonntagsausgabe der Times, bis der
Kaffee in der Glaskanne zu brodeln begann. Dann trank er ihn und aß dazu zwei
Scheiben dick mit Butter bestrichenen Toast.
    Nembutol, dachte er. Der Handelsname für das Medikament
Pentobarbitol, ein gewöhnliches Barbiturat. Zaif war zwar clever, hatte aber
noch nicht herausgefunden, daß etwas fehlte. Es hing alles davon ab, wie
gründlich und gewitzt der Pathologe sein würde, und Dietz würde es ihm
mitteilen. Dietz war zwar nicht begeistert gewesen, um drei Uhr morgens
Walters Anruf zu erhalten (»William, mit den Worten von F. Scott Fitzgerald
>ist es in der dunklen Nacht der Seele immer drei Uhr
morgens<«), hatte sich aber nach ein paar fröhlichen Obszönitäten kooperativ
gezeigt. Dietz war jederzeit bereit, einem Kumpel zu helfen und den guten
Namen von Forbes und Forbes zu verteidigen, selbst wenn es bedeutete, daß er
das Leichenschauhaus aufsuchen und ein paar alte Verbindungen wiederbeleben
mußte. (»Und, William, du solltest herausfinden - obwohl Fitzgerald das nicht
gesagt hat -, ob sich irgendwo ein Einstich gefunden hat.«)
    Und wenn es einen Einstich gibt, dachte Walter, ist Marta ermordet
worden. Wenn ja, von wem?
    Im Augenblick wäre es recht nützlich, überlegte er, wenn ich in der
Firma die Rolle eines Ermittlers gespielt hätte und nicht die des Zuhälters.
Irgendwie erinnere ich mich aber - war es nicht von Spillane? - an irgendeinen
altehrwürdigen Test, bei dem es um Motiv, Mittel und Gelegenheit geht.
    Also gut, das Motiv. Wer hatte ein Motiv? Zunächst Joe

Weitere Kostenlose Bücher