Manhattan Blues
verpassen. Direkt an ihm vorbeilaufen und über ihm, dann konnte
er es schaffen, wieder auf die Straße zu kommen, und zwar rechtzeitig, um sich
aus dem Staub zu machen, oder...
Der Tunnel öffnete sich vor ihm. Er war gerade hineingerannt, als er
hinter sich das Surren eines Motors hörte und spürte, wie der Wagen hielt.
Ich hätte es wissen müssen, dachte er. Ich hätte daran denken müssen.
Natürlich haben sie einen Wagen. Das haben sie immer.
Doch jetzt war es zu spät, daran zu denken. Jetzt saß er in der Falle.
Sein Fluchtweg war eine Falle, und der lange weiße Wagen kam in der Nacht wie
ein Geist auf ihn zu.
Er hörte, wie die Scheibe surrend herunterging.
Auf diese Entfernung können sie mich nicht verfehlen, dachte Walter.
»Sie sehen schlecht aus, Mann«, sagte die Negerstimme.
Es war Theo, der Chauffeur der Contessa, der auf ihre Anweisung hin
wie immer kreuz und quer durch die Straßen fuhr.
»Ich bin fertig«, sagte Walter aufrichtig.
»Springen Sie rein, Mann.«
Walter riß die Tür auf und kauerte sich auf den Sitz. Im Seitenspiegel
konnte er den Sprinter sehen. Theo sah ihn auch, trat aufs Gaspedal, worauf der
große Wagen aufheulend aus dem Tunnel fuhr und den Riverside Drive
entlangraste.
»In diesem Park sollten Sie nicht nach Stoff
suchen, Mann!« sagte Theo lachend. »Das ist gefährlich!«
»Ich werd's mir merken.«
Walter legte sich auf den Rücksitz und schloß die Augen. Sekunden
später schlief er. Als er aufwachte, hielten sie gerade vor seinem Haus, und er
konnte hinter dem Vorhang Annes Silhouette erkennen.
Sie hatte sich in den großen Sessel gekuschelt und sich seinen
Frotteebademantel um die Schultern gelegt. Sie wachte auf, als er durch die Tür
trat.
»Ich habe selbst aufgemacht«, sagte sie. »Ich hoffe, du hast nichts
dagegen.«
»Deswegen haben wir die Schlüssel machen lassen.«
»Ich meine jetzt«, sagte sie.
»Ich hab nichts dagegen«, sagte er. »Wo bist du gewesen? Ich habe mir
Sorgen gemacht.«
»Auf dem Land bei meinen Eltern«, sagte sie. »Ich bin nach meinem
letzten Auftritt gestern abend losgefahren. Ich wollte heute morgen auf der
Farm aufwachen. Spazierengehen und nachdenken.«
»Über uns?«
»Unter anderem«, erwiderte sie. »Weshalb hast du dir Sorgen gemacht?«
»Du hast gestern morgen Marta besucht«, sagte er. »Nach unserer
kleinen Szene.«
»Du hast die Szene gemacht.«
»Du bist zu ihr gegangen.«
»Ja.«
Sie klang vorsichtig. Ein entschieden defensiver Unterton in der
Stimme.
»Warum?« fragte er. »Was glaubst du?“
»Warum?« wiederholte er.
»Ich habe ihr gesagt, daß ich dich liebe«, sagte Anne. »Daß ich sie
nicht wiedersehen würde.«
Eine Halbwahrheit? fragte sich Walter. Lügen durch
Weglassen. »Wie ging es ihr?« fragte er. »Was meinst du damit?«
»War sie betrunken?« fragte er. »Nüchtern? Fröhlich? Deprimiert?«
»Sie war high«, erwiderte Anne. »Und sie hatte geweint. Sie liebt
diesen Scheißkerl wirklich.«
Liebt, dachte Walter. Präsens. Sie weiß nicht
Bescheid. Oder sie tut nur so.
»Sie hat mir von dir erzählt«, fuhr Anne fort. »Sagte mir, daß du
Keneallys Botenjunge bist. Und seine Tarnung. Danach war ich nicht mehr so
sicher, ob ich dich liebte, Walter.«
»Aber jetzt bist du hier.«
»Jetzt bin ich hier.« Sie musterte ihn von oben bis unten und sagte:
»Du siehst furchtbar aus. Was hast du gemacht?“
»Gearbeitet.“
»Für Keneally?«
»Für mich«, gab er zurück. »Ich könnte einen steifen Drink vertragen.
Was ist mit dir?«
»Ich mache sie sogar.« Sie löste sich aus dem Stuhl. »Wie war's, wenn
du etwas Musik machst, Walter? Die Stille hier ist entschieden scheußlich.«
Sie ging in
die Küche.
»Soll ich
dein Band auflegen?« rief er.
»Du hast
es dir noch nicht angehört?«
»Ich habe
zu viel zu tun gehabt.«
Er fädelte das Band in sein Tonbandgerät ein und ließ die Spule
schnell vorlaufen, bis er die kreischenden Stimmen der Three Chipmunks hörte.
Anne betrat das Zimmer in genau dem Augenblick, in dem Geräusche der Liebe aus
den Lautsprechern kamen. Sie stand still und starrte Walter an. Mit den beiden
Drinks in ihren ausgestreckten Händen sah sie aus wie eine beschwipste
Seiltänzerin.
»Komm, laß mich die Gläser nehmen, bevor was überschwappt«, sagte
Walter. Er nahm ihr behutsam die Gläser aus den Händen, stellte eines auf den
Couchtisch und trank aus dem anderen. Der rauchige Scotch wärmte ihn, wie es
ihm vorkam, zum ersten Mal an diesem
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