Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hat. Das Kind mit der hellgelben Haut hüpfte auf mein Knie und packte meinen Zeigefinger.
»Hi«, sagte es.
»Selber hi.«
Das hatte sie noch nie gehört, und der neue Mann mit den neuen Worten ließ sie lächeln.
»Ich kann Miss Sylvias Zwei-Pfund-Hanteln hochheben«, erklärte sie mir.
»Ich stemme auch Gewichte, in Gordos Boxstudio.«
So viele neue Wörter und Ideen. Das Kind begann, den Oberkörper hin und her zu wiegen.
»Reitest du?«, fragte sie mich, angestoßen durch ihre eigene Bewegung.
»Nie«, sagte ich kopfschüttelnd.
»Ich schon. Mit Mama.«
»Pferde sind groß.«
Minolita nickte mit solch tiefem Ernst, dass sowohl ich als auch Twill lächeln mussten. Sie lächelte ebenfalls und sonnte sich in unserer Aufmerksamkeit.
»Minolita«, sagte Velvet, die durch dieselbe Tür kam wie ihre Tochter vorher.
Das Kind drehte sich auf meinen Knien um, als wären sie ihr privater Sattel, und sagte: »Hier, Mom.«
»Hör auf, Miss Sylvias Gäste zu stören.«
Die Frau kam mit der nachlässigen Anmut ihrer Jugend ins Zimmer. Sie war noch keine einundzwanzig, und ich war beeindruckt, wie gut sie sich von ihrem Zustand bei unserer letzten Begegnung erholt hatte.
»Ich stör gar nicht, Mom. Er kann nicht mal reiten.«
Velvet hob ihre Tochter von meinen Knien und nahm das Kind auf den Arm. Sie wollte sich abwenden, hielt jedoch unvermittelt inne.
»Ich träume oft von Ihnen«, sagte sie zu mir.
»Das scheint mir für eine schöne junge Frau wie Sie eine Verschwendung zu sein.«
»Sie sind an einem dunklen Ort«, sagte sie, ohne mein Kompliment zu beachten. »Oder vielleicht auch ich. Ja. Ich war in einem Loch und starrte hoch in die Nacht, und Sie sind gekommen und haben Ihre Hände ausgestreckt. Ich weiß, dass Sie es waren, weil es Ihre Hände waren.«
»Das ist mir ja ein Traum«, sagte ich. »Oder war es ein Albtraum?«
»Als ich aufwachte, schien die Sonne«, sagte sie. »Meine Mutter saß neben mir, und ich war zu Hause.«
Ich fragte mich, an wie viel sie sich tatsächlich erinnerte. Aber es spielte keine große Rolle. Hush und ich hatten die Sache sorgfältig vertuscht, mit der akribischen Detailfreude des Killers. Selbst wenn der Mann, Bernard Locke, vermisst werden sollte, würde man seine Leiche nie finden.
Während ich mich beruhigte, kehrten die Mycrofts mit einer anderen jungen Frau zurück. Das neue Mädchen war etwa so alt wie Velvet, aber weiß und stämmiger – womit nicht gesagt sein soll, dass sie fett war.
Velvet hörte die Arbeitgeber ihrer Mutter und flüsterte ihrer Tochter zu: »Komm, Kleines.«
Als sie gingen, winkte das Kind mir zu. Ich glaube, das war mein glücklichster Moment im ganzen Monat.
»Das ist unsere Tochter«, sagte Sylvia Mycroft, »Mirabelle.«
Die junge Frau hatte mittellanges braunes Haar und trug ein violettes Kleid, das es nur halb bis über ihre muskulösen Joggerschenkel schaffte. Aus ihren braunen Augen musterte sie Twill, der es schaffte, ihren Beinen keine übermäßige Aufmerksamkeit zu schenken.
Sylvia verwies ihre Tochter auf das Sofa zur Rechten und setzte sich neben sie. Shelby blieb stehen. Vielleicht glaubte er, dass er sich damit irgendeinen Vorteil verschaffen würde.
»Hallo, Mirabelle«, sagte ich.
»Hi.« Sie hatte ein nettes Lächeln.
»Das ist Mathers.«
Sie lächelte ihn an.
»Sie haben uns etwas über Ihren Bruder zu sagen?«, fragte ich.
Shelby räusperte sich und sagte dann: »Bevor wir anfangen, möchte ich ein paar Regeln festlegen.«
»Ja?«, sagte ich.
»Diese Unterhaltung muss absolut vertraulich bleiben. Sie werden ihren Inhalt gegenüber niemanden, nicht einmal Mr. Lewis, wiedergeben. Ich erwarte, dass Sie ein Schreiben unterzeichnen, in dem Sie dieser Bedingung zustimmen.«
»Setzen Sie sich, Mr. Mycroft.«
Wenn überhaupt, zog er seine Schultern eher noch höher.
»Setzen Sie sich«, wiederholte ich. »Das ist kein Wettkampf. Sie haben mich angerufen, weil Sie jemanden mit meinen besonderen Fertigkeiten brauchen, der sich um Schadensbegrenzung bemühen soll. Ich bin nicht hier, um mir die Hände fesseln zu lassen. Also setzen Sie sich und lassen Sie uns über alles reden.«
Ein Herzschlag verstrich und noch einer. Schließlich gab Shelby Mycroft nach und ließ sich auf dem Platz neben seiner Frau nieder. Das überraschte mich ein wenig. Ich hatte erwartet, dass er die Beherrschung verlieren und mich wegschicken würde. Vielleicht war es das, was ich mir gewünscht hatte. Dass er nachgab, bedeutete, dass
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