Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
und Nylonschnur gefesselt im Haus zurück. Die Vorstellung gefiel mir nicht, doch es gab Orte zu besuchen und Leben zu retten – nicht zuletzt mein eigenes.
Um kurz nach fünf brachte ich Antoinette zu ihrem rosafarbenen alten Jaguar. Sie stand da, wie Frauen posieren, wenn sie erwarten, dass man versucht, sie zu küssen, und sich noch uneins sind, wie sie auf diesen Versuch reagieren sollen.
Ich hatte keinerlei Absichten, beim besagten Kuss zu scheitern oder zu triumphieren. Antoinette hielt mich trotz der Fortschritte, die ich in ihrer Ermittlung gemacht hatte, für dumm. Das war eine Beleidigung, die keinen Ausdruck des Begehrens verdiente.
Ich streckte die Hand aus. Sie ergriff sie und fragte sich, ob ich sie in meine Arme ziehen würde. Aber ich schüttelte bloß ihre Hand und ließ sie dann wieder los.
»Ich berichte Ihnen bis zum frühen Nachmittag, was meine weiteren Ermittlungen ergeben haben«, meinte sie.
»Okay. Meine Nummer haben Sie ja.«
Auf der Rückfahrt nach Manhattan rief ich zu Hause an. Es war noch nicht einmal sechs Uhr morgens, doch ich machte mir Sorgen um die Sicherheit meiner Familie.
»Hallo?« Sie klang wach und nüchtern, wenn auch ein wenig ätherisch.
»Hey, Katrina«, sagte ich. »Ich hatte gedacht, dass eins der Kids drangehen würde.«
»Die schlafen alle«, sagte sie. »Stimmt irgendwas nicht?«
»Wird die Haustür immer noch von Polizisten bewacht?«
»Hmmm, hat Twill jedenfalls gesagt. Sie sind alle hier und kümmern sich liebevoll um mich.«
»Ist alles in Ordnung, Katrina?«
»Oh ja. Ich dachte gerade, wie viel Glück ich gehabt habe. Ich werde geliebt, bin gesund und darf Fehler machen, ohne deswegen alles zu verlieren.«
»Du hörst dich an, als wäre alles vorbei.«
»Was?«
»Das Leben. Als ob du endgültig geschlagen wärst oder so.«
»Nein. Ich habe nur viel zu lange dir die Schuld gegeben, Leonid. Ich habe dir die Schuld gegeben, ohne je mich selbst zu hinterfragen. Und ich erkenne jetzt, dass ich Dimitri um ein Haar daran gehindert hätte, ein Mann zu werden. Denn er ist ein Mann, weißt du.«
»Ja, ich weiß.«
»Wann kommst du nach Hause?«
»Ich weiß noch nicht. Ich will mich erst vergewissern, dass wir alle sicher sind.«
»Danke, Leonid.«
»Wofür?«
»Dafür, dass du über mich wachst«, sagte sie, »und mich vor mir selbst gerettet hast, obwohl ich es nicht verdient hatte.«
Nach dem Telefonat war ich beunruhigt. Sie hatte nursehr selten Freundlichkeit und ganz bestimmt nie irgendein anerkennenswertes Maß an Selbsterkenntnis an den Tag gelegt. Sie war der Typ Frau, den Männer wegen ihrer Unerreichbarkeit liebten. Für ihre zahllosen Liebhaber war sie eine Trophäe wie der Kopf eines Säbelzahntigers, von dessen Existenz sonst niemand wusste, an der Wand. Für mich war sie immer die Frau gewesen, die man nie zufriedenstellen konnte.
Ich überlegte gar nicht, bevor ich den nächsten Anruf machte.
»Hallo?«, meldete sich Aura Ullman.
»Möchtest du in dem neuen Restaurant mit mir frühstücken?«
»Die haben zum Frühstück noch nicht geöffnet.«
»Auch für dich nicht?«
»Ich ruf Maurice an«, sagte sie nach einer kurzen Pause, »und frag, ob schon jemand da ist. Nimm Fahrstuhl elf bis ganz nach oben.«
Das Mustache befand sich im sechsundneunzigsten Stock des Tesla Building, direkt unter der Aussichtsplattform. Es war ein französisches Restaurant, das über Mittag und abends geöffnet hatte, doch die Köche waren schon viel früher da, und Maurice Denouve, der Besitzer, war Aura einiges schuldig, weil sie ihm geholfen hatte, den Pachtvertrag zu bekommen. Es hatte einen großen Bieterkrieg um die Räumlichkeiten gegeben, doch Aura mochte den Franzosen und hatte ihm den Weg geebnet, weshalb sie eine Sonderbehandlung durch die Besitzer genoss.
Als ich eintraf, wurden gerade Crêpes mit Früchtenund französischer Röstkaffee aufgetragen. Aura trug ein pfirsichfarbenes Sommerkleid und einen muschelförmigen Hut, der ihr schräg auf dem Kopf saß.
»Ich hab dich noch nie mit Hut gesehen«, sagte ich und nahm ihr gegenüber Platz. Ich fasste ihre Hand und küsste sie.
»Du siehst ein bisschen fertig aus, Leonid«, erwiderte sie.
»Da solltest du mal den anderen Kerl sehen.«
»Wir haben Frühstücksspeck gefunden, Mademoiselle«, sagte ein dünner, schwarzhaariger Keller in einem weißen Hemd. Ein Jackett trug er nicht, ein stummer Protest gegen die Tatsache, dass er gezwungen wurde, schon vor der offiziellen Öffnungszeit zu
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