Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
antwortete er – nichts.
»Sie stecken ganz schön in der Klemme, Freundchen«, fuhr sie in der fremden Sprache fort. »Dieser Mann hat schon zwei Leute getötet, die versucht haben, ihn fertigzumachen. Wenn Sie gehen wollen, müssen Sie auch geben.«
»Was können Sie mir schon versprechen?«, fragte er zurück. Sein Französisch klang südlicher, vielleicht Algerien.
Antoinette lächelte, während ich weiter dumm vor mich hin starrte.
»Die Männer, für die ich arbeite, machen mir mehr Angst als Sie«, sagte der Mann.
»Gut«, sagte Antoinette. Sie stand auf und verstaute den Totschläger wieder in ihrer Tasche.
Bevor sie sich abwenden konnte, sagte er: »Warten Sie.«
»Was?«
»Ich weiß gar nichts. Ich hab meine Befehle bei einem Treffen in Berlin bekommen. Pässe, Papiere … ein Handy. Die Adresse des Hauses hab ich erst heute erfahren.«
»Sollten Sie diese Leute umbringen?«
Er antwortete nicht. Das war auch nicht nötig.
Antoinette wandte sich mir zu. »Er weiß nichts«, sagte sie.
»Und was hat er dann alles erzählt?«
»Er hat Angst vor Ihnen.«
»Vor mir?«
»Er glaubt, Sie wollen ihn töten.«
»Wie kommt er denn darauf?«
Antoinette schenkte mir ein wissendes, verlogenes Lächeln.
Das Problem mit Leuten wie Antoinette, Leuten, die nur teilweise begriffen haben, dass Rasse nicht mehr der wichtigste prägende Faktor des amerikanischen Lebens ist, besteht darin, dass sie – sie und ihresgleichen – unbewusst weiter den Reichtum ihrer Herren bewachen; und die Macht dieses Reichtums verharrt im Zustand jahrhundertealter Ignoranz von Klassendenken, Rassismus und der dafür nötigen Hierarchie.
Antoinette wusste, dass mein Vater meinen Bruder und mich zu Hause unterrichtet hatte, ein Nachkomme armer Farmpächter aus dem Süden. Sie wusste, dass ich vor meinem dreizehnten Geburtstag Vollwaise geworden war. Ausgestattet mit diesem Teilwissen ging sie davon aus, dass ich keine Fremdsprachen beherrschte, schon gar nicht eine so wichtige und unzugängliche wie Französisch. Tatsächlich jedoch sprach ich Französisch und Spanisch – und auch Deutsch. All diese Sprachen hatte ich zu Hause oder auf den Versammlungen von Radikalen gehört, zu denen mein Vater uns geschleift hatte.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich und klang so unschuldig und unwissend wie ein Lasttier.
»Was schlagen Sie vor?«
Ich rollte neues Klebeband ab, um unserem Gefangenen den Mund wieder zuzukleben. Er wich mir aus, alsoschlug ich ihn und reagierte so meine Wut auf Lowry ab. Ich schlug ihn härter als beabsichtigt, denn der Stuhl kippte um, und er verlor wieder das Bewusstsein. Ich richtete ihn auf, klebte ihm den Mund zu und drehte mich um, um die naheliegende Frage zu stellen.
»Was wissen Sie über Brighton?«
»Er ist ein sehr reicher Mann«, sagte sie. »Angeblich ist er Anwärter für den Posten des CEO . Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in so was verwickelt sein soll.«
»Dann erklären Sie mir Claudia Burns.«
»Das kann ich nicht«, sagte sie, und ich glaubte ihr.
»Was ist mit diesem Typen?«
Sie seufzte und sagte: »Gerüchten zufolge hat unsere Auslandsabteilung Kontakte zu Söldnern außerhalb der USA. Diese Einsatzkräfte werden normalerweise für Schutzmaßnahmen engagiert. Aber sie arbeiten auch für Regierungen und so.«
»Auftragsmord?«
»Das weiß ich nicht aus erster Hand, aber davon geht man aus.«
»Auslandsabteilung«, spekulierte ich. »Alton Plimpton wurde mir von einem gewissen Harlow auf den Hals gehetzt …«
»Leonard Harlow. Er war früher Leiter der Auslandsabteilung, bevor er in die Inlandsabteilung versetzt wurde.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich weiß nicht. Könnte durchaus sein. Vor neun Jahren hatte er wahrscheinlich mit Barbeständen in Firmenbesitz zu tun. Außerdem hat er Verbindungen zu Orten, wo Söldnerarmeen im Einsatz waren.«
»Wie viel Geld wurde bei dem Raub erbeutet?«
»Achtundfünfzig Millionen.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja. Wieso?«
»Was für eine Belohnung gibt es dafür?«
»Wie schon gesagt, eineinhalb Prozent des sichergestellten Betrags.«
»Das sind fünfzehntausend pro Million, richtig?«
»Ja.«
»Wenn ich Sie zu dem Geld führe, werden Sie dann meinen Namen nennen?«
»Wenn …«
»Was machen wir mit dem Kerl hier?«
»Ich habe Kontakte im Außenministerium«, sagte sie. »Aus meiner Militärzeit. Die ruf ich an.«
»Und was machen die?«
»Das, was sie machen.«
51
Wir ließen den verhinderten Killer mit Klebeband
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