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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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einschlägigen Informationen über A Mann auf die Rückseite der Quittung eines Pizza-Lieferdienstes: eine Adresse sowie eine Website, die im Laufe des Tages eingerichtet werden würde.
    »Und das Gefängnis?«, fragte ich, nachdem ich die Anschrift und die Dotcom-Adresse studiert hatte.
    »Sie müssen lediglich dort vorstellig werden und sagen, wen Sie sprechen wollen.«
    »Sollte ich irgendeinen Namen nennen?«, fragte ich. »Eine Referenz oder irgendwas?«
    Sein höhnisches Lächeln war ein denkwürdiger Anblick.
    »Okay. Vielen Dank«, sagte ich und wandte mich zur Tür.
    Christian wünschte mir keinen guten Tag.
    Drei Stunden später saß ich in der Nähe von Coney Island in meinem grün-weißen 1957er Pontiac auf der anderen Straßenseite und einen halben Block entfernt von einem kleinen Holzhaus in der Murray Lane. Ich saß schon zwanzig Minuten dort, aber das machte mir nichts aus. Ich mochte es, im Auto Zeit für mich zu haben und Songs aus meiner Jugend zu hören, alles vonGordon Lightfoot bis B. B. King. Dank MP3 konnte ich meine komplette, viertausend Alben umfassende Plattensammlung in meiner Hemdtasche mit mir herumtragen.
    Zwei Sommer zuvor hatte ich Twill damit beauftragt, die Sammlung zu kopieren, und ihm erklärt, ich würde ihm zwei Dollar für jede überspielte Stunde Musik zahlen. Ich dachte mir, dass ich so dafür sorgen könnte, dass er dem Ärger aus dem Weg ging, wenn er nicht in der Schule war, während gleichzeitig meine gut tausend Platten digitalisiert wurden.
    Drei Wochen später präsentierte er mir den MP3-Player mit den Worten: »Bitte sehr, Pops.«
    Ich hatte ihn nie etwas tun sehen. Er war Tag und Nacht unterwegs, aber alle meine LPs waren da, sortiert nach Genre, Album, Interpret und Songtitel. In etwas mehr als einundzwanzig Tagen hatte er vierzigtausend Tracks kopiert.
    Als ich ihn fragte, wie er das angestellt hatte, erzählte er mir, dass er einen Freund hatte, der fünf Plattenspieler mit Digitalwandler besaß, jeder mit einem Wechsler, der acht Alben gleichzeitig tragen konnte.
    »Ich hab ihm zweitausend versprochen, wenn er mir die Sammlung in drei Wochen digitalisiert«, erklärte Twill lächelnd.
    Es war ein gutes Geschäft, denn ich schuldete meinem Sohn sechstausend.
    Weil ich das Geld nicht flüssig hatte, bezahlte ich seinen Freund in Raten und rang Twill die Zustimmung ab, ein Konto für sein Studium zu eröffnen. Ich überweise immer noch am Ersten jeden Monats einen Betrag und höre täglich meine Lieblingssongs.
    »Und wenn ich gar nicht aufs College gehen will?«, wandte er ein, als ich die Idee zum ersten Mal aufbrachte.
    »Du musst aufs College«, erklärte ich ihm. »Danach kannst du in die Wirtschaft gehen und Milliardär werden.«
    »Kein Interesse«, erwiderte er und hob träge die Hand, um den kapitalistischen Fluch kurzzuschließen.
    »Im Moment nicht«, sagte ich mit väterlicher Gewissheit.
    »Nein, nie, Pops. Geld macht die Menschen schwach und dumm. Und weißt du, wenn man reich ist, mag einen niemand dafür, wer man ist, sondern nur dafür, wie viel man wert ist. Ich würde lieber gerade genug verdienen, um zu tun, was ich will, und die Spannung aufrechtzuerhalten.«
    Damals war er vierzehn Jahre alt. Wenn er mit zwanzig noch immer nicht aufs College gehen wollte, würde das auf dem Konto angesparte Geld trotzdem ihm gehören, versprach ich ihm.
    Aus den Bose-Boxen im Fonds des Wagens dröhnte »Fat Man« von Jethro Tull. Twill war zwar nicht mein leiblicher Sohn, doch ich würde ihn trotzdem vor sich selbst beschützen. Er hatte ein besseres Leben verdient, trotz seiner Intelligenz und seiner Neigungen.
    Während ich so dasaß und wartete, dass meine Beute sich zeigte, wandte ich meine Gedanken Norman Fell zu.
    Ich fragte mich, wie man lebte, ohne ein Wort lesen zu können. Titel von Büchern mussten sonderbar erscheinen; selbst der eigene Name wäre einem nur symbolisch vertraut. Wie fühlte sich ein Mensch, der sich dort draußen weithin sichtbar verstecken und halb in innere Dunkelheit gehüllt durchs Leben schlagen musste?
    Aber lesen zu können machte noch nicht schlau, genauso wenig wie Geld einen reich machte, was Twill schon früh begriffen hatte.
    Fell und ich hatten beide gewusst, dass es falsch war, diese Männer zu finden, aber wir mussten Rechnungen bezahlen, neue Schuhe kaufen und den Schein wahren. Lange nachdem das Gebäude zum Abriss freigegeben war, versuchten wir immer noch, ein Leben aufzubauen.
    Früher habe ich geglaubt, ich

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