Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman
könnte etwas erreichen, ich könnte mit genug Erfahrung und Geld auf der Bank das wohlhabende Mitglied eines exklusiven Clubs werden. Das Leben der Straße würde ich den Pennern überlassen, die es lebten. Ich würde zu meinem Penthouse hinaufsteigen, immer in dem Wissen, je höher man kommt ...
Ich hatte eine Box in einem Lager in der Bronx gemietet, in der ich Informationen über die dreihundert Fälle aufbewahrte, in die ich verwickelt war. Irgendwann einmal hatte ich darauf gebaut, dass diese Akten meine Ausstiegsoption sein würden. Ich würde alle, die dann noch lebten, anrufen und das Material für im Schnitt fünftausend Dollar pro Person verkaufen. Und wenn ich verhaftet wurde, konnte ich die Informationen benutzen, um einen Deal auszuhandeln, bei dem ich nicht ins Gefängnis musste.
Doch das war mittlerweile egal. Ich war kein moralischer Analphabet mehr. Ich konnte die Zeichen lesen und wusste, was sie bedeuteten.
Als gerade die Marcels »Blue Moon« anstimmten, kam ein Mann aus dem gelb-blauen Häuschen. A Mann. Ich kannte sein Gesicht von der Website, die Christian vorübergehend eingerichtet hatte. Er führte einen ältlichen Dackel aus. Der Hund zerrte an seiner roten Leine und versuchte eher halbherzig auszureißen und auf die Straßen zu pissen, in denen er seine Hundejugend vergeudet hatte.
Das zehn Pfund schwere Haustier war braun gefleckt, sein Herrchen rosafarben und rundlich. Von A Manns geschätzten dreißig Pfund Übergewicht waren vierzig Speck. Er ging wie ein Mann, der in seinem Leben keinen einzigen Tag Sport getrieben hatte, ein bisschen wackelig bei jedem vierten oder fünften Schritt. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt, kein besonders modisches Ensemble, aber das wollte nicht viel heißen – um so auszusehen, als würde er irgendwo hingehören, hätte Mr. Mann sich einer gravierenden Generalüberholung unterziehen müssen.
Andererseits schien ihm seine Erscheinung herzlich egal zu sein. Er murmelte seinem Hund etwas zu und wartete geduldig, bis der sein Geschäft verrichtet hatte. Er stand mit einem kleinen Plastikbeutel bereit. Es war fast quälend, ihm zuzusehen, wie er auf seinen schwachen und verrosteten Stelzen in die Knie ging.
Als er einen halben Block entfernt war, stieg ich aus und folgte ihm auf der anderen Straßenseite.
In unseren getrennten Welten schlenderten wir gemeinsam Richtung Ozean. Er dachte an seinen Hund, und ich fragte mich, wie ich den Mann für mich abrichten konnte.
Dank Christians Hilfe wusste ich, dass A weder Frau noch Kinder hatte. Seine Mutter lebte mit einer Schwester in Tampa und hatte keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn. Er hatte seinen Namen in Dwight Timmerman geändert und führte ein stilles Leben von einer Rente, die er in einer Reihe vorsichtiger Investitionen angespart hatte. Er lebte in einer Art selbstgeschaffenem Zeugenschutzprogramm.
Christians sorgfältig gestaltete Website verriet mir, dass A sich, nachdem er erkannt hatte, dass er für Gangster arbeitete, an einen alten Schulfreund gewandt hatte, der zu Geld gekommen war. Dieser Freund, den Christian schlicht Mr. Jones nannte, hatte ihm geholfen, eine neue Identität aufzubauen. Das alles hatte Jones mit Hilfe eines Untergebenen von Rinaldo getan.
Alphonse Rinaldo hatte ein breites Netz über New York ausgeworfen. Fast jeder war irgendwie mit ihm verbunden, obwohl nur wenige davon wussten. Seine Kontrolle über die Stadt war so umfassend, dass er möglicherweise sogar an den Fäden seiner eigenen Arbeitgeber zog.
Bei Fell (alias Ambrose Thurman) hatte ich einen Verdacht, aber im Fall von Tony, The Suit, gab es nicht den Hauch eines Zweifels: In dem Moment, in dem ich ihm Manns Adresse nannte, waren Hund und Herrchen so gut wie tot. Und wenn ich mich weigerte, landete ich auf Tonys schwarzer Liste, und irgendein anderer würde den Buchhalter aufspüren.
Zwischen Tony und mir standen die Chancen ziemlich ausgeglichen, aber wenn Harris Vartan sich auf die Seite des Gangsters schlug, würde ich keinen Tag überleben.
Ich hatte kaum eine Wahl und zudem eine Familie, die mich lebend brauchte, um sich über Wasser zu halten.
Der Spaziergang dauerte etwa eine halbe Stunde. Mann und Hund mussten unterwegs vier Mal haltmachen, um zu Atem zu kommen. Einmal ließ sich der Buchhalter auf eine Bank fallen, den Rücken zum Meer gewandt. Er atmete durch den offenen Mund, während der Dackel zu seinen Füßen schwerfällig hechelte. Der Hund blickte zu A auf, während der in die Wolken
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