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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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obwohl das niemand wusste, schien ihn diese Anonymität in keiner Weise zu bekümmern. Er war zufrieden in seiner Haut, und das findet man bei einem Amerikaner nur selten.
    Aber ungeachtet meiner Sympathie missbilligte Mr. Latour meine Person. Ich war grob und ruppig und hörte schmutzigen Blues, während er in opernhafter Pracht träumte.
    Auf Christians Schreibtisch stand ein schwarzesKästchen mit einer kleinen Blende, durch die das Licht in allen Primär- und Sekundärfarben der Palette scheinen konnte. Sie leuchtete strahlend blau. Christian warf einen Blick darauf und schürzte kaum merklich die Lippen.
    »Mr. Rinaldo wird Sie jetzt empfangen.«

30
    Im Gegensatz zu Christians karger, beengter Kammer war der Bürosaal seines Chefs eine Studie in Opulenz. Dicke, dunkelrote Teppiche waren zwischen den königsblauen Wänden ausgelegt, an denen von Deckenspots beleuchtete Meisterwerke der Renaissance hingen, ausgeliehen vom Metropolitan Museum of Art (das prinzipiell keine Objekte aus den eigenen Beständen verleiht).
    Nach zehn Schritten in den Raum kam ich an einer komplett ausgestatteten Mahagoni-Bar vorbei, die in die Wand zur Rechten eingebaut war. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein aus einem massiven, grün-weißen Jadeit-Block gehauener Altar, mannshoch und doppelt so breit. Subtil zurückgenommene Gesichter und Tiergestalten huschten über die unbezahlbare Skulptur.
    Es gab kein Fenster und kein Portal zur Außenwelt, trotzdem zwitscherte ein Singvogel mit langem grün-rot-blauem Gefieder ein wunderschönes Lied, als ich vorüberging. Es war ein Gruß oder vielleicht auch eine Warnung, jedenfalls war die Melodie verklungen, bevor ich die weiteren dreiundzwanzig Schritte zu Alphonse Rinaldos Schreibtisch zurückgelegt hatte.
    Er stand hinter dem esstischgroßen Möbelstück, das aus einer einzigen Planke eines unbekannten dunklen Holzes gefertigt war. Er erhob sich immer, wenn ich den Raum betrat. Vielleicht machte er das bei jedem – ich weiß es nicht.
    Alphonse war mittelgroß (will sagen, etwa fünf Zentimeter größer als ich), mit makelloser weißer Haut, schwarzem Haar und harten dunklen Augen. Auf einen oberflächlichen Beobachter mochte er wie ein sanfter Mann wirken, doch das hatte er mit vielen der schlimmsten mir bekannten Monster gemein: freundlich selbst beim bedauernswerten Akt des Mordens.
    Seine Haare waren weder lang noch kurz und perfekt frisiert, und nach seinem Anzug hätte sich selbst Giorgio Armani umgedreht.
    »Nehmen Sie Platz, Mr. McGill.« Wenn Quecksilber reden könnte, würde es klingen wie er.
    Mein Lieblingsstuhl stammte, wie Alphonse mir einmal erklärt hatte, aus prä-kolumbianischer Zeit, gehauen aus einem Block Vulkangestein.
    »Er wurde für Opferrituale benutzt«, hatte er mir an jenem Tag vor ein paar Jahren erläutert. »Von dem Stuhl führte eine Rinne für das Blut zum Opfergefäß.«
    Ich muss ein wenig beunruhigt gewirkt haben, weil er hinzufügte: »Keine Sorge, Mr. McGill, er wurde ausschließlich für Jungfrauen benutzt.«
    Einmal habe ich Rinaldo gefragt, ob er direkt dem Bürgermeister unterstellt sei.
    »Ich bin Sonderbevollmächtigter der Stadt New York«, antwortete er, als gäbe es einen grausamen Gott, der unter dem Stein, Stahl und Beton der Stadt hauste und dessen Willen gewichtiger war als der jedes Politikers und jeder Generation von Wählern.
    Und wenn Manhattan eine uralte Gottheit war, die über unsere Insel und seine Nachbarn wachte, dann war Alphonse Rinaldo ein unter die Säue geratener, abtrünniger Engel. Er konnte deine Seele von einem Dritten kaufen und wie einen gläsernen Kreisel auf den Granitstufen der Justiz tanzen lassen. Er war ohne seinesgleichen, der gefährlichste Mann in New York City. Und er wusste immer mehr als jeder andere im Raum.
    Ich hatte dem Sonderbevollmächtigten vor ein paar Jahren einen Gefallen getan. Es gab einen Mann namens Todd, der so viel Geld hatte, dass er in einem weitläufigen, komplett spiegelverglasten Bungalow auf einem Wolkenkratzer in Midtown Manhattan wohnte. Er konnte hinausblicken, aber die Welt nicht hinein.
    Todds Tochter war in einen Mann verliebt, den die Familie für nicht standesgemäß hielt. Ich wurde hinzugezogen, um den fraglichen Herrn zu belasten. Man hatte auch »andere Maßnahmen« erwogen, aber schlussendlich wollte Todd seiner Tochter diesen Kummer ersparen.
    Alphonse bat mich, Beweise zu finden oder zu fälschen, die die Tochter von der Verworfenheit (Alphonses Wortwahl,

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