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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Kühle, die aus dem tiefen Wald aufstieg.
    »Ja?«, fragte eine junge Stimme über die Gegensprechanlage.
    »Leonid McGill für Bryant Hull«, schrie ich. Vor Gegensprechanlagen brülle ich immer.
    Ich hatte eine weitere Frage erwartet, doch stattdessen sprang das Tor auf und rollte beiseite, als ob mein Kommen in einem von Poppy Pollins’ alten Büchern mit Überlieferungen der Stadt Albany prophezeit worden wäre.
    Das Haus selbst war eine Enttäuschung. Ich hatte ein russisches Schlachtschiff inklusive Kanonen und Kommandobrücke erwartet, doch es war bloß ein Haus; ein großes Haus, ein sehr großes Haus – eine Prachtvilla genau genommen, vier Stockwerke hoch und von der Ausdehnung eines halben Straßenblocks, aber meine Fantasie hatte mich zu sehr viel höheren Erwartungen verleitet.
    Es war ein altes Gebäude aus grauem Stein – gebaut für die Ewigkeit. Die Eingangstür lag ein wenig zurückgesetzt unter einer breiten, grünen Veranda mit vier Meter hohen weißen Marmorsäulen. Als ich auf diese Tür zuging, hatte ich das Gefühl, in den Rachen einer großen, grauen, gezähnten Kröte zu laufen.
    Ich klingelte und wartete eine Weile. Die Haustür war an die fünf Meter hoch und knapp drei Meter breit. Unten in der Mitte befand sich ein Türknopf aus Messing. Ich hatte etwa drei Minuten dort gestanden, als das massive Brett schließlich aufging.
    »Ja?«, fragte ein Mädchen mit heller Haut und rostbraunem Haar. Ich kannte ihr Gesicht aus den Artikeln, die ich in der Bibliothek überflogen hatte, die mit Hilfe ihres Großvaters erbaut worden war. Von meiner Lektüre wusste ich, dass sie zwanzig Jahre alt war. Sie wäre auch für fünfzehn durchgegangen, hatte jedoch nichts von der linkischen Unbeholfenheit einer Halbwüchsigen.
    Sie sah mich an und erkannte etwas, das ihrer Fantasie entsprang. Sie lächelte das Phantom an, das ich für sie war, und ich lächelte zurück, weil sie so schön war.
    »Leonid McGill«, stellte ich mich vor.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich möchte Ihren Vater sprechen, Hannah«, antwortete ich.
    »Kennen wir uns?«
    »Nein.«
    »Oh.«
    »Ist er da?«
    »Mein Vater?«
    »Ja.«
    »Nein.«
    »Wann erwarten Sie ihn zurück?«
    »In welcher Angelegenheit möchten Sie meinen Vater sprechen?«, fragte sie, und ich vermutete, dass die instinktive Vorsicht der Wohlhabenden aus ihr sprach.
    »Es ist etwas Privates.«
    »Oh«, sagte sie mit einem Schmollen. »Und ... womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?«
    »Mit vielen Dingen«, sagte ich gesetzt. »Ich arbeite für mich selbst, aber stets im Auftrag von anderen.«
    »Das klingt kryptisch«, demonstrierte sie ihr Uniwissen.
    »Wir haben uns ja auch gerade erst kennengelernt«, sagte ich.
    Das brachte mir ein Lächeln ein.
    »Kommen Sie rein.« Sie drehte sich elegant auf dem Absatz um und führte mich in das graue Mausoleum.
    Hannah tapste vor mir durch die Eingangshalle. Sie trug ein gelb-braunes Kleidchen mit einem schrägen Saum, das so kurz war, dass man den größten Teil ihrer schlanken, kräftigen Beine sehen konnte, und einen anmutigen Hüftschwung hatte das Mädchen auch.
    Der Flur war von Familienporträts und pastellfarbenen Türen gesäumt.
    Wir kamen in ein kleines, nierenförmiges Zimmer mit Kamin, davor eine burgunderrote Couch und ein dazu passender Sessel.
    Das Mädchen wies auf den Sessel.
    »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte sie oder eher ihre gute Erziehung mit selbstverständlicher Grazie.
    Sie ließ sich auf das Sofa fallen und zog einen Fuß auf das Polster.
    Ich setzte mich und achtete darauf, nicht auf ihre Beine zu starren.
    »Ich möchte Pilotin werden«, sagte sie mit kindlich unverstellter Abenteuerlust, die vielleicht eher der echten Hannah Hull entsprach. »Was halten Sie davon, Mr. McGill?«
    Ich zog die Schultern hoch und schob die Unterlippe vor. »So weit es mich betrifft, gibt es nach oben keine Grenzen.«
    »Das ist aber ziemlich mutig von ihnen.«
    »Was ist mutig daran, einem jungen Menschen zu sagen, dass er in der Lage ist, etwas zu erreichen.«
    »Mein Vater könnte böse auf Sie werden«, spekulierte sie.
    »Ich schulde ihm nichts.«
    Diese Antwort überraschte Hannah so sehr, dass sie sich kerzengerade aufrichtete und mich anstarrte.
    »Warum sind Sie hier?«
    »Kennen Sie einen Thom Paxton oder einen Willie Sanderson?«
    »Von einem Thom Paxton habe ich noch nie etwas gehört. Und einen Willie kenne ich auch nicht, aber wir hatten mal eine Putzfrau, die Sanderson hieß. Lita Sanderson.

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