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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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vom FBI verhaftet worden war, weil er Prostituierte dafür bezahlt hatte, die Staatsgrenze zu überqueren. Es fiel mir schwer, mich auf den Artikel zu konzentrieren, zum einen weil er mich verdammt an die Art von Aufträgen erinnerte, bei denen ich früher eigentlich gute Männer zu Fall gebracht hatte, zum anderen weil in der Spalte daneben stand, dass die Linke behauptete, der Irakkrieg habe fast eine Million Opfer gefordert und würde uns insgesamt eine Billion Dollar kosten. Das bedeutete, dass wir am Ende des Wahnsinns im Nahen Osten für jeden Toten eine Million Dollar ausgegeben hatten. Die Titelseite war eine dreifache Obszönität.
    Der Junge sagte murmelnd etwas zu seiner Mutter.
    »Warum bittest du sie um Wasser?«, wollte der Vater wissen. »Sieht sie aus, als hätte sie Wasser für dich? Manchmal muss man eben durstig bleiben. Ich hab auch Durst. Und renne ich rum und frag nach Wasser?«
    Ich sammelte meine Sachen zusammen und stand auf. Die Vorstellung des Mannes von Pädagogik war mehr, als ich ertragen konnte.
    Ich nehme an, meine Körpersprache verriet meine Gefühle.
    »Wo wollen Sie denn hin?«, fragte der junge Vater mich, als ich meine Tasche zu der Tür zwischen den Waggons schleppte.
    »Ich brauche Ruhe zum Nachdenken.«
    »Was gibt es denn so Wichtiges zum Nachdenken?«
    Ich hätte einfach weitergehen sollen.
    »Ich denke über viele Dinge nach«, sagte ich. »Gerade eben habe ich gedacht, dass ein Kind Freude und mütterliche Liebe braucht, sonst wird es später ein kleiner Mann, der Kinder tyrannisieren muss, um sich wichtig zu fühlen.«
    Damit ging ich durch die Tür in den nächsten Waggon.
    Dort gab es nichts, was mich ablenken konnte. Ein Typ quasselte in sein Handy, doch das war mir egal.
    Nachdem ich meine Wut abreagiert hatte, schien mein Verstand freier zu schweben. Ich ließ mein zwanghaftesGrübeln über die ungebetene und unbewusste Vergebung des Mädchens sein und begann zu überlegen, worin die Verbindung zwischen den Hulls, Willie Sanderson und den Morden bestand, in die ich verwickelt war, denn irgendeinen Zusammenhang musste es geben. Außerdem sollte ich mich noch bei Tony, The Suit, zurückmelden und Twill vor seinem eigenen dunklen Heldenmut bewahren.
    Alles floss ineinander, und ich suchte nach Ideen, die eine Antwort auf all das lieferten. Ich überlegte, Twill zu erklären, dass ich wusste, was er vorhatte, und ihm einen anderen Ausweg anzubieten. Ich erwog ernsthaft, Tony zu sagen, wo A Mann wohnte. Der Typ war sowieso tot. Und war es das, wozu Harris Vartan mich aufgefordert hatte?
    Ich sinnierte gerade über die Putzfrau der Hulls, als es am anderen Ende des Waggons laut wurde.
    »Hey, Sie!«, rief der junge Vater aus einem anderen Lebensabschnitt.
    Einen kurzen Moment lang war alles vollkommen logisch gewesen: Ich war nicht im Geringsten verwirrt oder besorgt. Es war einer dieser Augenblicke, die nie lange dauern, aber für die paar Sekunden, die er anhält, fühlt er sich ewig an.
    Ich stand auf, als der junge Vater den Gang entlanggestürmt kam. An seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er über meinen Worten gebrütet hatte.
    Der Typ mit dem Handy sagte: »Ich rufe später zurück.«
    Auch mein Widersacher war nicht zu einer Unterhaltung aufgelegt. Sobald er in Reichweite war, holte er zueinem Schlag aus. Ich wehrte ihn ab wie ein erfahrener Trainer den ersten Wurf eines Kindes aus der Little League. Doch meine offensichtliche Überlegenheit schreckte den jungen Vater nicht, und er holte wieder aus. Diesmal wich ich zurück und ließ seinen Schlag ins Leere gehen. Eine Frau schnappte nach Luft, und ich stieß den Typen mit beiden Händen gegen die Brust. Er landete auf dem Hintern, und an seiner Miene erkannte ich, dass er endlich begriffen hatte, wie stark ich war.
    Er sprang auf, war sich jedoch unsicher, was er tun sollte. Ich hatte schon einen Schlag abgewehrt, war einem zweiten ausgewichen und hatte ihn auf den Arsch geschubst. Er wusste, dass meine nächste Reaktion heftiger ausfallen würde.
    Er hasste mich. Er wollte mich schlagen, bis ich gefügig war, doch so sollte es nicht kommen, und das wussten wir beide.
    »Leck mich doch!«, brüllte er, ballte die Fäuste und hüpfte einmal auf der Stelle.
    Als ich nicht mit der Wimper zuckte, drehte er sich um und stürmte zurück zu seiner armen, ahnungslosen Familie.
    Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn gedemütigt hatte. Er konnte nichts dafür, wer er war, und ich hatte es bestimmt nicht

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