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Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman

Titel: Manhattan Karma: Ein Leonid-McGill-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Mund und voller Verzweiflung. Der Mann hatte einen strengen Gesichtsausdruck und immer eine Erektion. Sie war ein Mädchen mit bleichem Haar und grauen Augen. Wenn sie nicht verzweifelt wirkte, schien ihr Ausdruck resigniert und so unergründlich wie der von Leslie Bitterman.
    Ich wusste, dass es Bitterman war, weil die Fotos in diesem Raum gemacht worden waren. Er hatte das Kind auf ebendiesem roten Teppich vergewaltigt.
    Ich schaffte etwa dreißig Prozent der Bilder, bevor mich der Mut verließ. Wenn ich durch meinen Anruf bei Duffy keine belastende Spur hinterlassen hätte, hätte ich wahrscheinlich gewartet und Bitterman selbst getötet. Doch das Gefühl verflog wieder, und ich ging in den Flur und die Treppe hinunter. Ich holte Bugs Crossbox aus dem Keller und bedankte mich im Erdgeschoss bei Peter. Ich erklärte dem Wachmann, dass soweit alles in Ordnung zu sein schien.
    »Sind Sie sicher, dass Sie Elektriker sind?«, fragte er und musterte mich argwöhnisch.
    »Ja. Warum?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Peter freundlicher. »Ich hab noch nie erlebt, dass einer von euch nicht mit irgendeiner Fünftausend-Dollar-Reparatur um die Ecke kommt.«
    »Duffy mag Joe«, sagte ich. »Er hat mir gesagt, ich soll nicht so streng sein.«
    Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich zurück ins Tesla Building gekommen bin.

41
    Twill, dachte ich, während ich die zahlreichen Schlösser zum Vorzimmer meines Büros aufschloss, war ein perfekter Mensch. Vielleicht kein Vorzeige-Bürger oder ein besonders nützliches Mitglied der Gesellschaft, kein gesetzestreuer Kirchgänger, der immer Gott im Sinn hatte; aber trotz all seiner sozialen Mängel war Twill in der Lage, eine makellose Entscheidung darüber zu treffen, was und warum er etwas tat. Sein Entschluss, Leslie Bitterman zu töten, war absolut vernünftig. Ich wollte den Mann selber umbringen. Aber ich war nicht so perfekt wie mein Sohn. Ich machte mir Sorgen wegen der Konsequenzen, auch wenn ich wusste, dass die Tat an sich richtig war.
    Ob man den Finanzfachmann nun wegen begangener Taten umbrachte oder um zukünftige zu verhindern, es gab jedenfalls nur wenige Menschen, die die Tat als solche verurteilen oder auch nur in Frage stellen würden. Das Problem war, dass diese wenigen für den Staat New York arbeiteten und schwarze Roben trugen.
    Aber Twills Perfektion war nicht entscheidend. Sobald ich im Besitz aller Fakten war, würde es ein Leichtes sein, einen Plan zur Rettung meines Sohnes zu schmieden. Dieses Problem hatte ich gelöst und fühlte mich dementsprechend gut. Es gab noch andere Knoten im Strang meines Lebens, doch die würde ich auch noch entwirren – da war ich mir ziemlich sicher.
    Ich saß auf dem neuen Stuhl am Schreibtisch derEmpfangssekretärin, wie ich es oft tat, wenn ich meine Post las.
    Ich war kaum beunruhigt, als am Türknauf gerüttelt wurde, bevor es klingelte. Ich überlegte, in mein Büro zu gehen und einen Blick auf die Monitore zu werfen, sagte mir jedoch, dass ich mein Leben nicht leben konnte, wenn ich mir bei jedem Klopfen oder Klingeln Sorgen darüber machte, was mich erwartete. Dieser Weg führte in den Wahnsinn.
    Mein Besucher war eher klein geraten und roch nach einer dünnen Schicht Flieder über einem Acker aus saurem Schweiß. In der linken Hand hielt er einen ramponierten schwarzen Aktenkoffer. Er trug einen gutgeschnittenen, dunkelblauen Anzug, dessen Wirkung jedoch unter seiner drahtigen Gestalt litt. Der Himmel allein wusste, welcher genetische Hintergrund sich in seinem seltsam länglichen und gleichzeitig flachen weißen Gesicht niederschlug.
    »Mr. McGill?«, fragte er und deutete ein Lächeln an.
    »Wer sind Sie?«
    »Timothy Moore.«
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Sind Sie Leonid McGill?«
    Ich zögerte. Es passierten zurzeit so viele Dinge, dass ich mir selbst bei der Beantwortung einfachster Fragen unsicher war. Moores Geruch gefiel mir nicht, aber vielleicht hatte er ein Drüsenproblem. Ich war zwar beschäftigt, aber niemand bezahlte mich, es sei denn, ich würde einen im Grunde unschuldigen Mann für den Mob zum Abschuss freigeben.
    »Ja, der bin ich«, sagte ich. »Kommen Sie rein, Mr. Moore. Setzen Sie sich.«
    Ich trat zurück und ließ ihn ins Vorzimmer. Ich beschloss, hier mit ihm zu sprechen. So musste ich ihm nicht den Rücken zuwenden, um die Codes zu meinem inneren Heiligtum einzugeben.
    Ich setzte mich hinter den Schreibtisch und sah Tim Moore so ausdruckslos wie möglich an.
    »Nettes Büro«, sagte

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