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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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widerwärtigen Atmosphäre des Waldorf entronnen zu sein, glücklich, wieder in den warmen Lichtern des Times Square zu baden, glücklich, noch am Leben zu sein, um dem ereig
nisreichen Jahr 1958 Lebewohl sagen zu können. An den Zeitungsständen kreischten die Schlagzeilen vom Chaos in Belgisch-Kongo und von Castros unmittelbar bevorstehendem Sieg in Kuba und trompeteten etwas fröhlicher davon, dass Amerika den Daviscup aus Australien heimgeholt habe. Was Walter an seinen Vorsatz erinnerte, wieder mit dem Tennisspielen anzufangen. Und weniger zu trinken.
    Aber nicht heute Abend, nicht am Silvesterabend in New York. Er zog seinen Flachmann aus der Manteltasche, nippte am Bourbon und genoss den Lärm der Knallfrösche, das Hufgetrappel der Polizeipferde und das von vielen vorzeitig betrunken gegrölte »Auld Lang Syne«.
    McGuire verspätete sich nur um wenige Minuten. Er kam in seiner Handelsmarine-Kluft an – blaue Matrosenjacke, Strickmütze, Jeans und ein Seesack.
    »Wollen Sie einen Drink?«, fragte Walter. Er brüllte, um sich im Lärm der Menge Gehör zu verschaffen, und reichte McGuire den Flachmann.
    McGuire nahm einen kräftigen Schluck und sagte: »Das ist das richtige Zeug!«
    »Meiner Erfahrung nach«, erwiderte Walter, »kann man zwar immer billig essen, aber es ist keine gute Idee, billig zu trinken!«
    »Ein umwerfender Anblick ist das!«, sagte McGuire.
    »Sie sind noch nie hier gewesen?!«
    »Nicht am Silvesterabend! Das ist ja irre, Mann!«, sagte McGuire mit einem Gesichtsausdruck, der Walter glauben ließ, es sei ein hohes Lob.
    Der Schriftsteller nahm das Joe-Keneally-Tonband aus seinem Seesack und reichte es Walter.
    Walter steckte es in die Manteltasche.
    »Wohin wollen Sie?«, fragte er.
    McGuire zuckte die Schultern und zeigte nach Westen. »Dahin!«
    »Nachts auf dem Highway?!«, fragte Walter.
    McGuire lachte und sagte: »Genau dort lebe ich!«
    »Es gibt schlimmere Orte, nehme ich an!«
    »Wie diese Stadt!«
    Nein, dachte Walter, nicht wie diese Stadt. Dies ist der beste Ort auf der Welt.
    »Nun, ich wünsche Ihnen viel Glück!«, sagte Walter.
    »Mit dem Glück bin ich durch, Mann!«, entgegnete McGuire. »Ich weiß, wann ich geschlagen bin!«
    »Das ist gut!«, brüllte Walter. »Es ist gut, wenn man das weiß!«
    McGuire packte Walter an den Schultern und starrte ihm in die Augen.
    »Ich habe viel über Sie nachgedacht, Mann!«, rief er. »Ich habe entschieden, dass Sie ein buddhistischer Heiliger sind! Einer dieser dämonischen Heiligen! Ein Koan! Ein unlösbares Rätsel!«
    »Wissen Sie, eines Tages werde ich mich vielleicht selbst lösen!«
    »Dann werden Sie sterben!«, schrie McGuire. »Lassen Sie mich noch mal trinken, dann mache ich mich auf den Weg!«
    Er nahm einen kräftigen Schluck und krakeelte in den Nachthimmel: »Ein Gedicht für Walter Withers: Unter einer Million künstlicher Lichter! Zwei Heilige humpeln! Einer ist ein gescheiterter Barde! Der andere ein wandernder Ritter! Beide betrunken! Trauer und Ekstase! Wer weiß, wohin der Weg uns führt!«
    Walter klatschte Beifall, und McGuire verneigte sich. Er drehte sich um und war in der Menge verschwunden.
    Walter sah sich die Szene auf dem Times Square noch ein
paar Minuten lang an und folgte dann der 45. Straße nach Westen. Er überquerte den Broadway, dann die Eighth Avenue und ging weiter nach Westen, weg von den Lichtern, bewegte sich gegen den Strom der Menschen, die sich beeilten, auf dem Times Square zusammenzuströmen. Er befand sich tief in Hell's Kitchen westlich der Tenth Avenue, als er hörte, wie die Limousine neben ihm anhielt.
    Die hintere Tür ging auf, und Walter stieg ein.
    Der Alte streckte ihm eine verwitterte Kralle hin und schüttelte Walter die Hand. Sein Fleisch fühlte sich so trocken und spröde an wie altes Pergament.
    »Hallo, junger Freund«, zischte er.
    Selbst in dem schwachen Licht sah sein dünnes Gesicht geisterhaft blass aus. Sein weißes Haar kontrastierte scharf mit seinem schwarzen Smoking, und Walter fragte sich, von welcher düsteren und grotesken Versammlung er gerade kam.
    »Hallo, Sir.«
    »Unser Mr. Morrison ist sehr kooperativ«, sagte der Alte und entblößte mit seinem Lächeln die langen gelben Zähne.
    »Sie haben also Ihren Maulwurf …«, begann Walter.
    »Einen davon.«
    »… und jetzt hat die Firma sogar einen Senator in der Hand«, ergänzte Walter.
    »Noch einen Senator«, verbesserte ihn der Alte. »Und einen möglichen Präsidenten.«
    Walter zog das Tonband

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