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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Sängerinnen aufzureißen. Er hat wohl gedacht, für zwei Drinks könnte er mit den Sängerinnen auch ins Bett gehen.«
    »Hat er versucht, dich aufzureißen?«, fragte Walter.
    »Wie du schon betont hast, befand ich mich damals in Europa.«
    »Woher weißt du es dann?«
    »Gespräche unter Mädchen«, erwiderte Anne. »Die Dinge werden immer weitererzählt. Wenn ein Mädchen in den Clubs auftritt, muss es wissen, wer womöglich die Nase in ihre Garderobe steckt.«
    »Die Nase?«
    »Ich wollte es diplomatisch ausdrücken.«
    »Ein guter Vorsatz für das neue Jahr?«
    Sie hörten der Musik zu.
    »Streiten wir uns wegen irgendwas?«, fragte sie nach einigen Augenblicken.
    »Nein, wir streiten uns um nichts.«
    »Wollen wir damit aufhören?«
    »Definitiv.«
    Sie stießen an.
    Elvin beendete sein Solo mit einem gehämmerten Akkord. Einige Leute klatschten Beifall, und einige schnippten mit den Fingern.
    Das Handwerk der Straße endet nicht, wenn man sie verlassen hat. Walter spürte, wie ihn jemand beobachtete, und er nutzte die Musikpause, um den Blick schweifen zu lassen und zu lächeln, als genösse er es, in einem Raum voller Freunde zu sein.
    »Deine Freundin mag mich nicht«, sagte er zu Anne.
    »Welche Freundin?«, fragte Anne zurück.
    »Die, mit der du dich unterhalten hast, als du reinkamst.«
    »Alicia?«
    »Sie starrt mich an.«
    »Weil du in deinem Party-Zwirn so großartig aussiehst.«
    Das glaube ich nicht, dachte Walter. Es ist ein wütendes Funkeln, als stellte sie Fragen und als wüsste sie schon, dass ihr die Antworten nicht gefielen.
    »Was macht diese Alicia eigentlich?«, fragte er.
    »Sie schreibt Gedichte.«
    »Kennst du sie schon lange?«
    »Sie gehört zur Szene. Sie ist Kellnerin im Good Night.«
    »Ist schon etwas von ihr veröffentlicht worden?«, wollte
Walter wissen. »Wie ist ihr Nachname? Vielleicht habe ich etwas von ihr gelesen.«
    Obwohl er seit Owen und Sassoon keinen Dichter mehr gelesen, Eliot unverständlich gefunden hatte und der Meinung war, man hätte Ezra Pound auf der Stelle als Verräter erschießen müssen.
    »Du bist nicht bei der Arbeit, Liebling. Hör auf, Fragen zu stellen.«
    »Ich versuche nur, Interesse zu zeigen«, sagte er.
    »Du machst mich noch eifersüchtig, wenn du weiter nach ihr fragst«, sagte Anne.
    Er schürte das Feuer. »Weißt du, Liebling, sie ist sehr hübsch.«
    »Das ist sie, und wenn du sie anrührst, breche ich dir den Arm«, sagte sie honigsüß. »Können wir jetzt gehen?«
    »Ich war schon bereit, als ich herkam.«
    Sie warf ihm einen bösen Blick zu.
    »Tut mir leid, Süße«, sagte er. »Diese Leute hier sind einfach nicht mein Geschmack.«
    »Aber meiner«, gab sie zurück. »Und ich habe gar nicht die Absicht, nach Hause zu gehen. Ich muss mich noch auf einer Party im Good Night sehen lassen. Oh, sieh mal! Ist das nicht Sean McGuire?«
    Diesmal hatte er allerdings einen Kaffeebecher in der einen Hand und ein zerknülltes Blatt Papier in der anderen. Seine Matrosenjacke hatte er über den Arm gelegt. Er wirkte nüchtern, fast feierlich.
    Die Menge verstummte, als McGuire mit Mickey Evans im Schlepptau aufs Podium stakste.
    McGuire gab Elvin die Hand, setzte sich dann auf den Barhocker und wandte sich dem Publikum zu.
    »Ich habe ein Gedicht für Sie«, sagte er leise.
    Einige Beatniks schnippten mit den Fingern, was in Walter den Drang auslöste, mit ihren Fingern etwas ganz anderes zu machen.
    »Amerikanischer Herbst«, sagte McGuire.
    Wunschdenken?, fragte sich Walter. Wenigstens scheint es ein geschriebenes Gedicht zu sein.
    »Im Amerikanischen Herbst wird das smaragdgrüne Feld braun«, las McGuire.
    Seine nüchterne Stimme hörte sich wesentlich besser an, sanft und leise, ganz anders als das heisere Stakkato seines betrunkenen Geschreis.
    »Wenn windzerzauste Hengste keuchend nach der kühlen Herbstluft schnappen.«
    Evans blies einen scharfen, hohen Ton, den er dann abbrach.
    »Und ich sehe die Pferde taumeln und stolpern …«
    Wieder ein Riff von Dantzler.
    »Amerikanischer Herbst.«
    Höre ich da ein Versmaß heraus?, fragte sich Walter.
    »Im Amerikanischen Herbst fallen fremde Namen durcheinander«, fuhr McGuire fort, »wie Karten auf den Tischen von Ellis Island …«
    Walter hatte den Eindruck, dass der Mann traurig aussah, als dächte er an etwas Kostbares, das er verloren hatte. Und das blaue Jeanshemd und die Twillhose sahen jetzt nicht prätentiös aus. Jetzt wirkten sie wie die Kleider eines zu groß geratenen

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