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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Village wie seine Westentasche kannte und sogar wusste, was auf den Fensterscheiben eingraviert war.
    »Da wäre Harry's Bar, aber ich glaube nicht, dass das Ihre Art von Lokal ist.«
    »Aber Ihre Art von Lokal?«, fragte Walter zurück und spielte die Rolle des Pilgers. Harry's war ein schmieriger Schuppen, pittoresk, wenn man so etwas mochte, der klassische billige Schick des Village.
    »Martinos Jungs haben mir jeden Penny genommen, den ich hatte«, sagte McGuire.
    Walter antwortete: »Bitte, es wäre mir ein Vergnügen.«
    Er öffnete den Kühlschrank, fand etwas Eis, zerstieß ein paar Eiswürfel in einem Geschirrtuch und hielt McGuire den provisorischen Eisbeutel an das geschwollene Auge. Er hatte sein Buch gelesen und wusste, dass der Mann an Engel glaubte. Vor allem anderen muss man die Rolle spielen, die von einem erwartet wird, dachte Walter.
     
    Harry's Bar in Venedig, dachte Walter, dort gibt es auch ein Harry's. Er konnte die Hühnersuppe fast schmecken, die Hemingway so mochte und mit einer halben Flasche Rotwein und einem Espresso hinunterspülte. Aber dieser Laden im Village, so sehr Walter diese Kneipen liebte, hatte die aggressiv gehemmte Atmosphäre der Unterschicht. Vom lausigen Essen ganz zu schweigen.
    McGuire brachte es immerhin hinunter, einen Teller mit Rührei und Zwiebeln sowie grünem Pfeffer und zwei dicke Scheiben Roggentoast. Während der kurzen Mahlzeit lutschte er noch drei Zigaretten in sich hinein und ebenso viele Tassen Kaffee, und er betrieb dabei gerade genug Konversation, um die Einladung zu rechtfertigen.
    Das traurigerweise vorhersagbare Verhalten bedürftiger Schreiberlinge, seufzte Walter. Aber wie Schauspieler werden sie für ihr Abendessen immer singen. Es ist das einzige, was sie können.
    Dennoch, sie hatten etwas zu besprechen, und so unterbrach ihn Walter und sagte: »Die Giants liegen für das Spiel am Sonntag bei den Wetten mit dreieinhalb Punkten hinten.«
    »Sie können nicht verlieren«, entgegnete McGuire. »Nicht bei der Abwehr. Teufel, sie haben den Browns letzte Woche die Meisterschaft versaut.«
    Walter hob die Augenbrauen, um seinem Gegenüber zu signalisieren: Behalte deine Schlussfolgerungen für dich, was McGuire dann auch tat.
    »Paulie hat mich überall unmöglich gemacht«, sagte McGuire. »Ich bringe keine Wette mehr unter.«
    »Aber ich kann das.«
    Der wahre Spieler hat einen bestimmten Gesichtsausdruck, ein Glitzern, eine Reflexion des glänzenden Sterns, der »sichere Sache« heißt. Bei einem professionellen Spieler sieht man ihn nie; der starrt nur kalt wie ein entschlossener Mathematiker. Der wirkliche Spieler jedoch glaubt an das Schicksal, sein Schicksal, und wenn er seinen guten Stern sieht … nun, dann leuchten seine Augen. So wie die von Sean McGuire im sanften Neonlicht des Lokals an diesem Weihnachtsabend.
    »Ich kann eine Wette unterbringen«, wiederholte Walter.
    »Ich habe keinen Kredit«, sagte McGuire.
    »Aber ich.«
    »Das würden Sie für mich tun?«, fragte Sean.
    Das würde ich für dich tun, dir antun, was auch immer.
    »Es wäre mir ein Vergnügen«, sagte Walter.
    »Dann lassen Sie uns die Wette gleich unterbringen.«
    »Nein«, sagte Walter, »wir werden abwarten, ob sich die Quote ändert. Vielleicht können wir noch ein oder zwei Punkte zusätzlich bekommen.«
    McGuire sah besorgt aus. »Es könnte aber auch andersherum laufen.«
    »Was auch eine wertvolle Information wäre«, bemerkte Walter.
    Menschen, die im ersten sich bietenden Augenblick Entscheidungen treffen, gelten meist als »entscheidungsfreudig«, wie Withers senior zu sagen pflegte. Ich nenne sie dumm. Triff nie eine Entscheidung vor dem allerletzten möglichen Augenblick, in dem du die denkbar meisten Informationen zur Verfügung hast.
     
    Walters Taxi fuhr gerade vor Annes Haus vor, als er sie aus dem Gebäude kommen, nach links und rechts blicken und in ein wartendes Taxi einsteigen sah.
    »Ich hasse es fast, diese Worte zu äußern«, sagte Walter zum Fahrer, »aber folgen Sie bitte diesem Wagen da.«
    Es würde ein kleiner, aber köstlicher Scherz sein. Anne hatte es sich offenbar anders überlegt und war auf dem Weg zu seiner Wohnung. Er würde hinter ihr aus dem Taxi springen und sich einen Spaß daraus machen.
    Allerdings fuhr ihr Taxi auf der 14. Straße nicht nach Osten, sondern nach Westen. Weg von seiner Wohnung.
    Außerdem war da eine bestimmte Aura um sie gewesen, als
sie die Treppe herunterkam. Unschuldig, als er es bemerkte, doch im

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