Manhattan
Nachhinein verdächtig. Die scharfen Blicke, ob jemand sie sah? Ihre untypische Eile – Anne hatte es nie eilig –, ins Taxi zu kommen? Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, der sich nur als verschlagen beschreiben ließ?
Sie hatte, wie Walter mit Bedauern feststellte, etwas von einem Michael Howard an sich. Den Ausdruck der Untreue.
Und nun würde er ihr folgen, so wie er Michael Howard gefolgt war, wenn auch in einem übermäßig geheizten Taxi.
Er kauerte sich in den Sitz und fühlte sich während der langen Fahrt zur Sixth Avenue und den Broadway hinauf wie ein schuldbewusster Narr. Dann ging es den ganzen Weg hinauf in die Neunziger.
Das dicke Gesicht des Fahrers grinste ihn im Rückspiegel an.
»Trifft sich Ihr Mädchen mit einem anderen?«, fragte er.
»Halten Sie Ihren dreckigen Mund«, gab Walter zurück.
Der Fahrer runzelte die Stirn und sagte: »Sehr viel weiter in Richtung Harlem fahre ich nicht, Chef.«
»Das brauchen Sie auch nicht. Halten Sie hier.«
Anne verließ ihr Taxi an der unteren Ecke der 95. und des Broadway. Walter bezahlte den Fahrer, gab ihm ein beleidigendes Trinkgeld und ignorierte das gebrummelte »Frohe Weihnachten«.
Er beobachtete, wie Anne den Broadway überquerte und auf der 95. nach Westen ging. An dem Schirmdach des Thalia Theater las er ORSON WELLES : IM ZEICHEN DES BÖSEN . Darunter stand, nicht ganz so groß, CHARLTON HESTON . Anne wirkte klein und zierlich unter den grellen Lichtern, als sie sich eine Karte kaufte und hineinging.
Walter überquerte ebenfalls den Broadway und wartete an der Downtown-Ecke der Straße. Es dauerte nur wenige Minu
ten, bis er Alicia sah, Annes hübsche schwarze Freundin aus dem Cellar. Sie hatte sich in einen dunklen Stoffmantel gehüllt, der viel zu groß für sie war, schritt auf der anderen Straßenseite entlang, überquerte sie in der Mitte und kaufte ebenfalls eine Karte. Walter wartete ein paar Minuten, bis er zur Kasse ging. Dann blieb er draußen stehen, bis er sicher war, dass der Film angefangen hatte.
Das Kino war voll. Walter konnte sich nicht erklären, was Menschen am Weihnachtsabend ins Kino trieb. Vielleicht hatten sie es nötig, etwas zu sehen, was größer war als das Leben; vielleicht war es das letzte Stück Magie, das der Tag noch zu bieten hatte, und vielleicht war es nur die richtige Zeit auszugehen. Die Kinos machten über Weihnachten jedoch immer ein blendendes Geschäft.
Er stand hinter dem Vorhang am hinteren Ende des Saals und wartete, bis seine Augen sich an die glitzernde Dunkelheit gewöhnt hatten. Anne und Alicia saßen in der dritten Reihe am Gang des Mittelteils.
Er erinnerte sich genau, wie er im Cellar nach Alicia gefragt hatte.
Kennst du sie schon lange?
Sie gehört zur Szene. Sie ist Kellnerin im Good Night.
Lügen durch Auslassen, dachte Walter.
Du machst mich noch eifersüchtig, wenn du mich ständig nach ihr fragst.
Sünden der Tat, aber welche Sünden? Und warum?, fragte sich Walter.
Also Anne möchte dich nicht sehen und geht mit einer Freundin ins Kino, na und?, sagte sich Walter. Also sagt sie, sie wolle den Tag bei ihrer Familie auf dem Land verbringen und erwähnt nicht, dass sie mit Alicia verabredet ist. Schließlich muss sie dir nicht alles erzählen. Also kauft sie sich eine
Karte und trifft ihre Freundin im Kino, denn draußen ist es kalt.
Trifft sich Ihr Mädchen mit einem anderen?
Halten Sie Ihren dreckigen Mund.
Er setzte sich hinten in eine Ecke und sah sich den Film an, bis es aussah, als stünde der Showdown kurz bevor. Dann ging er leise hinaus und wartete an der Ecke. Die Kälte steigerte seinen Zorn noch, obwohl er nicht genau wusste, weswegen er zornig war.
Er war überrascht, als Alicia das Kino allein verließ. Er hatte erwartet, dass sie und Anne noch eine Tasse Kaffee trinken oder einen Drink nehmen würden, doch Alicia bog an der Ecke in Richtung Uptown ab. Sie war nervös. Sie hatte diesen leicht stelzenhaften, nervösen Gang, den Walters CIA -Ausbilder »das Truthahnwatscheln« genannt hatten. Sie ging schnell, ließ den ganzen Fuß bis zu den Zehen abrollen, aber schnell.
Einer der Ausbilder, ein mondgesichtiger Riese namens Fischer, hatte einen anderen Ausdruck gebraucht. Seine Maxime war gewesen: »Warme Hände, kalte Füße. Wenn man sich schuldig gemacht hat, verbreitet sich eine Infektion von den Händen direkt in die Füße. Je wärmer die Hände, umso kälter werden die Füße. Die Lösung liegt wie immer im Kopf. Man muss vergessen, was man in den
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