Manhattan
Händen hat, sonst hat einen die Opposition am Arsch.«
Doch Alicia konnte sich nicht der Weisheit Fischers rühmen, und was immer sie in den Händen hatte – und Walter konnte nichts weiter erkennen als dieselbe einfache Handtasche, mit der sie gekommen war –, es beschäftigte sie sehr. Er betete zu Gott, dass Anne nicht so dumm war, Marihuana zu kaufen und es an ihre Freunde zu verschenken.
Er folgte Alicia zur 110. Straße, wo sie nach Osten abbog und
zwischen Broadway und Amsterdam ein Gebäude betrat. Er behielt das Haus im Auge, bis im vierten Stock das Licht anging und Alicias Silhouette hinter einer dünnen Gardine erschien.
Dem Gebäude direkt gegenüber war ein Coffee Shop, und er hatte das Glück, einen Fensterplatz zu bekommen. Der Kaffee war zwar ebenso scheußlich wie die Spiegeleier und der Schinken, doch es war wenigstens warm in dem Lokal, und er konnte von dort Alicias Apartment im Auge behalten. Er beendete seine Mahlzeit und ging zum Münztelefon hinten im Lokal.
»Ist es zu spät, um anzurufen?«, fragte er Anne, als sie abnahm.
»Für dich ist es nie zu spät, Liebling.«
»Du hörst dich außer Atem an.«
»Ich bin gerade reingekommen.«
»Woher?«
»Ich war auf dem Land, hast du das vergessen?«, sagte sie. »Ich hab's dir doch gesagt. Ich bin raufgefahren, um meine Eltern zu besuchen.«
Wann werden Amateure endlich lernen, unter tausend Wahrheiten eine winzige Lüge zu verstecken? fragte er sich.
»Hallo, Walter?«, hörte er sie sagen. »Bist du noch da?«
»Ich bin noch da.«
»Wo ist ›da‹?«
»In einem Coffee Shop«, erwiderte er. »Ich bekam plötzlich Hunger, und nach Kochen war mir nicht zumute.«
»Hör mal«, sagte sie, »ich würde dich gern bitten herzukommen, aber ich bin offen gestanden ziemlich erledigt. Und du doch bestimmt auch.«
»Völlig kaputt«, sagte er.
»Außerdem bin ich morgen total ausgebucht«, sagte sie.
»Ich bin den ganzen Tag im Studio und anschließend im Rainbow Room. Kannst du kommen?«
»Ich werd's versuchen.«
»Ja bitte, versuch's«. Pause. »Also dann, frohe Weihnachten.«
»Frohe Weihnachten.«
Er hängte ein, ging zu seinem Platz zurück und schluckte den letzten bitteren Kaffeesatz, ließ einen Quarter auf dem Tisch und ging in die Kälte hinaus. Da er kein Taxi sah, ging er an der 110. Straße zur U-Bahn hinunter, kaufte sich ein Ticket und ging den Bahnsteig entlang.
Warum Lügen?, dachte er. Warum lügt sie mich an?
Es störte ihn zutiefst, weil er wusste, was alle guten Ermittler wissen: Es ist nicht die Substanz der Lüge, auf die es ankommt, sondern das Motiv für die Lüge.
Himmel, dachte er, »Motiv«. Jetzt denke ich an Anne und benutze dabei Wörter wie »Motiv«. Du lieber Himmel.
Der Bahnhof war leer am Weihnachtsabend, und er hörte ihre Schritte, bevor er sie sah.
Es waren zwei, zwei weiße Kerle mit dem albinohaften Aussehen der hoffnungslos Süchtigen und dem dummen Grinsen der unwiderruflich Verblödeten. Es war das übliche Räuber-Gespann, einer groß, einer klein. Der Kleine war gerade schlau genug, für den anderen den Speichellecker zu spielen, während der Größere gerade dumm genug war, ihm die Rolle abzunehmen.
Von Finesse jedenfalls keine Spur, dachte Walter. Nicht auf einem menschenleeren Bahnsteig spätabends. Sie gehen einfach drauflos. Wozu Zeit verschwenden und sich anstrengen, etwas subtiler vorzugehen?
Sie waren noch knapp zwei Meter entfernt, als der Kleinere die Klinge aufblitzen ließ, ein böses Klappmesser mit einem kreuzweise schraffierten Griff.
Bitte geht weg, dachte Walter. Bitte. Ich bin einfach nicht in der Stimmung.
Der kleine Junkie fuchtelte mit der Klinge vor Walters Gesicht herum, als der größere um ihn herumging und sich hinter ihn stellte.
»Gib mir deine Brieftasche, dann lasse ich dich vielleicht am Leben«, sagte der Kleinere.
Walter gab keine Antwort.
Der Junkie ließ das Messer Zentimeter vor Walters Nase durch die Luft sausen.
»Hast du gehört?«
Walter antwortete nicht.
Der Junkie stieß nach Walters Kehle. Walter trat schnell zurück, packte den Mann mit der linken Hand am Handgelenk, hob die rechte Hand über den Kopf und ließ sie hinuntersausen. Das Handgelenk des Junkies knackte, und das Messer fiel scheppernd zu Boden. Walter drehte sich um die eigene Achse, packte den Mann am Haar, neigte dessen Kopf, bis der Hals sich dehnte, und hob die Hand wie eine Axt.
»Lauf weg, sonst bring ich ihn um«, sagte Walter.
Der große Junkie starrte ihn
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