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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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maßgeschneiderte Tweedjacke, Hosen aus Baumwolltwill und Wildlederschuhe.
    »Vielen Dank«, sagte Walter. »Es ist mir peinlich, dass mir Ihr Name nicht einfällt.«
    »Ich wüsste nicht, dass ich Ihnen den gesagt habe«, gab der Schriftsteller zurück. »Wie auch immer, mein Name ist Julian. Julian Hidalgo.«
    Walter streckte die Hand aus.
    »Wollen wir nach oben gehen?«, fragte Julian.
    »Wollen wir.«
    Der Raum schien erheblich langweiliger zu sein als am Heiligen Abend. Die Dekorationen waren verschwunden, ebenso der Weihnachtsbaum und die leuchtenden Tischtücher. Verschwunden war zu Walters Enttäuschung auch die Modellbahn.
    Der Club war allerdings alles andere als leer. Eine Reihe von Männern saß trinkend an der langen Bar, und ein paar Gruppen, die sich zu verstehen schienen, saßen lachend an den Wänden, und einige wenige Paare tanzten zu den Klängen der Jukebox, aus der irgendeine Popmelodie Walter ans Ohr
drang, die wiederholt verkündete, »im hopp hopp hopp« passiere etwas oder nicht.
    Michael Howard Benson befand sich nicht im Raum.
    Alicia auch nicht.
    »Sie scheinen diesem Ort«, sagte Julian, »eine übermäßige Neugier entgegenzubringen. Darf ich fragen, warum?«
    »Aus geschäftlichen wie persönlichen Gründen.«
    »Halten Sie Ihre Geschäfte liebenswürdigerweise hier heraus«, sagte Julian. »Was die persönlichen Gründe angeht … Na ja, normalerweise würde es mich interessieren, Ihre Neugier zu befriedigen, aber ich habe eine Verabredung, müssen Sie wissen.«
    »Sie haben mich missverstanden.«
    Julian musterte ihn lange und lächelte.
    »Habe ich das?«, fragte er. »Das bezweifle ich.«
    »Machen Sie sich keine Mühe.«
    »Es ist keine Mühe.«
    Der scheußliche »hopp«-Song hörte auf. Die Jukebox klickte und surrte, die Nadel kratzte auf einer neuen Platte herum, und Tommy Edwards Stimme begann mit »It's All In The Game«. Die Paare auf der Tanzfläche umarmten einander und begannen, sich zu der langsamen Musik sanft zu bewegen.
    »Es ist keine Mühe«, wiederholte Julian. »Im Gegenteil, vielleicht wollen Sie sich uns anschließen?«
    »Mich Ihnen wo anschließen?«
    »Hinter dem Spiegel.«
    In den berüchtigten Bädern.
    »Nein, besten Dank«, erwiderte Walter.
    »Weiß Ihre wunderschöne Anne Bescheid?«
    »Ob sie Bescheid weiß?«
    »Dass Sie diese … Neigungen haben.«
    »Aber die habe ich nicht.«
    »Da habe ich wieder so meine Zweifel.«
    Walter zog seine Zigarettenschachtel aus der Jacke und bot Julian eine an.
    »Gauloises«, sagte Julian.
    »Das habe ich mir in Europa angewöhnt.«
    »Ich auch.«
    »Ich spreche von den Zigaretten.«
    »Ich nicht«, entgegnete Julian. »Wollen Sie nicht vielleicht doch mit nach hinten kommen und einen Blick riskieren? Sie können später sagen, Sie seien betrunken gewesen. Außerdem stimmt es – Sie sind betrunken.«
    Vielleicht ist Michael Howard Benson da drinnen, dachte Walter. Sozusagen in flagranti. Das würde in dem verdammten Bericht schon genügen. Damit könnte ich es diesem Laden heimzahlen. Wofür?, fragte er sich. Für Anne und Alicia? Für Anne und Marta? Betrug gegen Betrug?
    »Nennen Sie es professionelle Neugier«, sagte Walter.
    »Sie können es nennen, wie Sie wollen.«
    Walter folgte Julian hinter den Spiegel, durch die kleine Holztür, die nach hinten führte, in einen Umkleideraum, der gleich neben einem Flur lag, der mit Kiefernholzpaneelen in kleine Kabuffs unterteilt war.
    Julian zog sich aus, schlang sich ein Handtuch um die Taille und blickte Walter an.
    »Ich bleibe lieber angezogen, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Walter.
    Julian zuckte die Schultern. »Wir werden in Nummer drei sein.«
    Walter setzte sich auf eine Bank. Ihm schwirrte der Kopf. Er hatte zu viel getrunken, und die dampfende Hitze setzte ihm auch zu. Trennwände aus Kiefernholz taten nur wenig, um die
Geräusche der Rendezvous zu dämpfen, die aus den Bädern kamen – das Gelächter, das Seufzen, ein gelegentliches Stöhnen. Einen kurzen, scharfen klimaktischen Schrei.
    Walter lauschte unwillkürlich nach weiblichen Stimmen, obwohl er nicht wirklich erwartete, in dieser anscheinend männlichen Domäne welche zu hören. Er erwartete nicht wirklich, Annes Stimme zu hören, hörte sie jedoch im Kopf.
    Wider besseres Wissen stand er auf und ging den Flur entlang. Er fühlte sich miserabel, weil er in die ersten beiden Kabuffs hineingeblickt hatte, auf die nackten Männer – doch keiner von ihnen war Michael Howard Benson.
    Er

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