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Manhattan

Manhattan

Titel: Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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stand an der offenen Tür von Nummer drei und blickte auf den glatten, muskulösen Rücken von Julian Hidalgo, als sich dieser aus dem dampfenden Wasser erhob. Walter betrachtete die starke Hand, die Julian im Nacken ergriff und zu einem intimen Kuss herunterzog.
    Sean McGuires Kopf neigte sich vor Lust zurück. Als er wieder hochblickte, sah er, wie Walter ihn ansah. Julian hielt in seinen Bemühungen inne und blickte über die Schulter.
    In dieser Szene waren alle drei erstarrt, bis Walter sich umdrehte und wegging.
    Sie sollten die Leute sein lassen, wie sie sind.
    Walter ging zu der langen Bar im großen Saal zurück.
    »Schönen Nachmittag«, trällerte er dem Barkeeper in einem bühnenhaft irischen Akzent zu, dessen sich Barry Fitzgerald errötend geschämt hätte.
    »Nachmittag«, erwiderte der Barkeeper.
    Er sieht zu gut aus, um nur ein Barkeeper zu sein, dachte Walter. Der Mann sah aus wie ein Schauspieler, wie ein Bühnenschauspieler, und arbeitete zwischen den Proben offenbar als Barmann. Gab es denn keine Profis mehr in diesem einst so ehrenwerten Handwerk?
    »Einen Jamieson's ohne alles, wenn Sie so nett sein könnten, guter Mann«, sagte Walter.
    In der Jukebox sangen die Everly Brothers gerade »All I Have To Do Is Dream«. In den wenigen Minuten, in denen Walter hinten gewesen war, hatte sich der Saal gefüllt. Wahrscheinlich, dachte Walter, kommen die Leute gerade aus den Kinos.
    Der Barmann goss ihm seinen Drink ein, ließ das Glas über den Tresen schlittern und sagte: »Das ist ein lausiger Dialekt.«
    »Nun, dann gebe ich Ihnen vielleicht lieber ein Stichwort.«
    »Ein Stichwort?«
    »Sie wissen, was ein Stichwort ist.«
    »Aber sicher.«
    »Na schön, legen wir los«, sagte Walter. Dann äußerte er im Tonfall eines drittklassigen Schauspielers: »›Ich suche einen Mann.‹«
    »Sie sollten schnell austrinken und dann gehen.«
    »Nein, nein, nein, nein, nein«, gluckste Walter. »Ich gebe Ihnen das Stichwort, und sie liefern mir die Pointe. Sie sagen etwas wie: ›Sind wir das nicht alle‹ oder ›Wissen Sie, bei mir sind Sie genau richtig.‹«
    »Sie sind im falschen Laden gelandet«, sagte der Barkeeper. Dann machte er sich daran, Gläser zu putzen.
    »Das hört sich schon besser an«, sagte Walter. »Die falsche Replik, natürlich, aber mehr auf der Linie, die ich hören will. Versuchen wir es noch einmal: ›Ich suche einen Mann.‹«
    Drückendes Schweigen, als der gesamte Raum zuhörte und Gleichgültigkeit vortäuschte.
    »Einen Mann namens Howard Benson.«
    »Suchen Sie woanders.«
    Eine Stimme von einem der Ecktische. Walter drehte sich
auf seinem Barhocker um und entdeckte einen jungen Mann in einem roten Flanellhemd und Khakihosen. Ein dünner, aber muskulöser junger Mann. Keine Muskeln vom Hantelnstemmen, keine Football-Muskeln. Keine Boxer-Muskeln.
    »Woanders habe ich schon gesucht«, sagte Walter. »Und zwar überall.«
    »Versuchen Sie es doch mal auf der Wache«, sagte der junge Mann. »Sie wären vielleicht überrascht.«
    Kurzgeschnittenes braunes Haar. Grüne Augen, die vor Zorn blitzten. Zu Füßen ein Sportbeutel. Weiße Buchstaben auf schwarzem Kunststoff: »Ansonia Studios«.
    Was immer das sein mag, dachte Walter. Aber zweifellos die Erklärung für die Muskeln.
    »Wie ist Ihr werter Name?«, fragte Walter.
    »Das geht Sie einen feuchten Dreck an.«
    »Wie buchstabiert man das?«
    Der junge Mann reckte den Mittelfinger in die Höhe: »So.«
    »Und kennen Sie einen Howard Benson?«
    »Nein.«
    »Wie wär's mit Michael Howard?«
    »Nein.«
    Aufrichtige Menschen sind so schlechte Lügner, dachte Walter. Die anderen Kleidungsstücke in Michael Howard Bensons Apartment würden dir wahrscheinlich passen. Du hast einen Fehler gemacht, mein tapferer junger Freund. Einen bewundernswerten Fehler, weil du einen guten Charakter hast, aber ein Fehler ist es trotzdem. Du hättest dich für deinen Freund oder dich selbst nicht stark machen sollen. Du hättest dich still verhalten und im Schatten bleiben sollen. Es hat immerhin einen Grund, dass die Sünde sich nicht gern offen zu erkennen gibt. Wenn du nicht so tapfer gewesen wärst, hätte ich es nicht erfahren. Ich wäre in dem Glauben weggegangen,
dass der Nachmittag ein abartiger alkoholischer Fehlschlag gewesen ist.
    Aber da wir nun mal darin geschult sind, Täuschungsmanöver anderer zu erkennen, haben anständige Leute eine so geringe Chance wie der sprichwörtliche Schneeball in der Hölle.
    »Aha, verstehe«, sagte

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