Manhattan
uns?«
»Unter anderem«, erwiderte sie. »Weshalb hast du dir Sorgen gemacht?«
»Du hast gestern früh Marta besucht«, sagte er. »Nach unserer kleinen Szene.«
»Du hast die Szene gemacht.«
»Du bist zu ihr gegangen.«
»Ja.«
Sie klang vorsichtig. Ein entschieden defensiver Unterton in der Stimme.
»Warum?«, fragte er.
»Was glaubst du?«
»Warum?«, wiederholte er.
»Ich habe ihr gesagt, dass ich dich liebe«, sagte Anne. »Dass ich sie nicht wiedersehen würde.«
Eine Halbwahrheit?, fragte sich Walter.
Lügen durch Weglassen.
»Wie ging es ihr?«, fragte er.
»Was meinst du damit?«
»War sie betrunken?«, fragte er. »Nüchtern? Fröhlich? Deprimiert?«
»Sie war high«, erwiderte Anne. »Und sie hatte geweint. Sie liebt diesen Scheißkerl wirklich.«
Liebt, dachte Walter. Präsens. Sie weiß nicht Bescheid.
Oder sie tut nur so.
»Sie hat mir von dir erzählt«, fuhr Anne fort. »Sagte mir, dass du Keneallys Botenjunge bist. Und seine Tarnung. Danach war ich nicht mehr so sicher, ob ich dich liebe, Walter.«
»Aber jetzt bist du hier.«
»Jetzt bin ich hier.« Sie musterte ihn von oben bis unten und sagte: »Du siehst furchtbar aus. Was hast du gemacht?«
»Gearbeitet.«
»Für Keneally?«
»Für mich«, gab er zurück. »Ich könnte einen Drink vertragen. Was ist mit dir?«
»Ich mache sie sogar.« Sie löste sich aus dem Stuhl. »Wie wär's, wenn du Musik anmachst, Walter? Die Stille hier ist scheußlich.«
Sie ging in die Küche.
»Soll ich dein Band auflegen?«, rief er.
»Du hast es dir noch nicht angehört?«
»Ich habe zu viel zu tun gehabt.«
Er fädelte das Band in sein Tonbandgerät ein und ließ die Spule schnell vorlaufen, bis er die kreischenden Stimmen der Three Chipmunks hörte. Anne betrat das Zimmer in genau dem Augenblick, in dem die Geräusche eines Liebesspiels aus den Lautsprechern kamen. Sie stand still und starrte Walter an. Mit den beiden Drinks in ihren ausgestreckten Händen sah sie aus wie eine beschwipste Seiltänzerin.
»Komm, lass mich die Gläser nehmen, bevor was überschwappt«, sagte Walter. Er nahm ihr die Gläser behutsam aus den Händen, stellte eines auf den Couchtisch und trank aus dem anderen. Der rauchige Scotch wärmte ihn.
Martas aufgezeichnete Stimme ertönte in einem lustvollen Singsang, der echt zu sein schien. Keneally grunzte die männliche Begleitung dazu.
»Wo hast du das her?«, fragte sie.
»Um genauer zu sein«, entgegnete er, »woher hast du es?«
»Walter …«
»Mach dir gar nicht erst die Mühe, dir eine Lüge auszudenken«, sagte er. »Marta hat es dir gegeben, und du hast es an Alicia weitergegeben. Ersteres Heiligabend im Thalia, letzteres irgendwann am Samstag. War das übrigens bevor du Marta erzählt hast, dass du mich liebst, oder danach?«
»Es hat nichts mit dir zu tun.«
»Wirklich nicht?«, fragte Walter.
»Marta bat mich um Hilfe.«
»Das ist zu einfach.«
»Dieser Scheißkerl tut Freunden von mir weh.«
»Der Ausschuss?«, fragte Walter.
»Ja, natürlich der Ausschuss.«
»Und du dachtest, du könntest ihn erpressen?!«
»Es war Martas Idee.«
»Du weißt nicht, was du tust.«
»Ich weiß genau, was ich tue!«
Nein, du weißt es nicht, meine geliebte Lügnerin. Du weißt nicht, dass hinter Marta jemand stand, der die Fäden zog. Jemand, der wiederum bei Keneally die Fäden ziehen will. Jemand, der immer wieder getötet hat, um das zu erreichen. Du weißt es nicht. O Gott, ich hoffe, du weißt es nicht.
Die Liebesgeräusche auf dem Tonband wurden lauter.
»Bitte stell das ab«, sagte Anne.
Martas Stimme schwoll zu einem kehligen Klagen an.
»Ich würde sagen, wir sind gerade am Ende einer Episode, nicht wahr?«, fragte er. Dann fügte er wider besseres Wissen hinzu: »Natürlich weißt du das besser als ich.«
»Bitte stell das ab.«
»Warum?«, fragte Walter. »Himmel, du bist doch nicht auf einem dieser Bänder zu hören, oder?«
Sie setzte sich auf die Couch und nahm den Kopf zwischen die Hände. Er beobachtete sie, als sie sich mit den Fingern durchs Haar fuhr.
»Nein«, sagte sie leise. »Warum bist du so grausam?«
»Warum ich so grausam bin?«, fragte er.
Marta rief jetzt den Namen des Senators, rief ihn immer wieder und fügte dann ein »Ja« hinzu, während Walter und Anne schweigend zuhörten. Er schaltete das Gerät ab, setzte sich neben sie auf die Couch, gab ihr ihren Drink und sagte: »Also Marta ist zu dir gekommen …«
»Das ist schon Wochen her«, sagte Anne.
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