Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mann im Dunkel

Mann im Dunkel

Titel: Mann im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
Vom Netzwerk:
mir?
    Immer mit der Ruhe, sagt Frisk und tätschelt seine Hand. Sie haben jedes Recht, verwirrt zu sein. Deswegen bin ich hier. Ich bin es, der Ihnen alles erklären, Ihnen die Lage begreiflich machen wird. Wir wollen nicht, dass Sie leiden. Hätten Sie mich zum vereinbarten Termin aufgesucht, wäre Ihnen dieser Traum erspart geblieben. Verstehen Sie, was ich Ihnen damit sagen will?
    Nicht ganz, sagt Brick schon etwas ruhiger.
    Durch die Wände des Hauses hindurch vernimmt er das gedämpfte Startgeräusch des Jeeps und dann ein fernes Quietschen, als Virginia hochschaltet und davonfährt.
    Virginia?, fragt er.
    Was ist mit ihr?
    Sie ist gerade weggefahren, oder?
    Sie hat viel zu tun, und das hier geht sie ohnehin nichts an.
    Sie hat sich nicht einmal verabschiedet, sagt Brick, der das nicht auf sich beruhen lassen will. Seine Stimme klingt gekränkt, als könne er es nicht fassen, dass sie ihn einfach so sitzenlässt.
    Vergessen Sie Virginia, sagt Frisk. Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen.
    Sie sagt, ich könne zurückgehen. Stimmt das?
    Ja. Aber zuerst muss ich Ihnen sagen, warum. Hören Sie genau zu, Brick, und dann geben Sie mir eine ehrliche Antwort. Frisk legt die Arme auf den Tisch, beugt sich vor und sagt: Befinden wir uns hier in der wirklichen Welt oder nicht?
    Woher soll ich das wissen? Alles sieht danach aus. Alles hört sich danach an. Ich sitze hier in meinem Körper, und doch kann ich eigentlich gar nicht hier sein, oder? Ich gehöre woanders hin.
    Sie sind hier, aha. Und Sie gehören woanders hin.
    Beides zugleich geht nicht. Entweder das eine oder andere.
    Sagt Ihnen der Name Giordano Bruno etwas?
    Nein. Nie von ihm gehört.
    Ein italienischer Philosoph aus dem sechzehnten Jahrhundert. Er sagt, wenn Gott unendlich ist und wenn die Macht Gottes unendlich ist, dann muss es eine unendliche Anzahl von Welten geben.
    Das klingt vernünftig. Vorausgesetzt, man glaubt an Gott.
    Er wurde für diesen Gedanken auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Aber das bedeutet nicht, dass er unrecht hatte, oder?
    Warum fragen Sie mich das? Ich habe von alldem nicht die geringste Ahnung. Wie kann ich eine Meinung zu etwas haben, wovon ich nichts verstehe?
    Bis Sie neulich in jenem Loch erwachten, hatten Sie Ihr ganzes Leben in einer Welt verbracht. Aber wie konnten Sie sicher sein, dass diese Welt die einzige Welt war?
    Weil … weil es die einzige Welt war, die ich je kennengelernt hatte.
    Aber jetzt kennen sie eine andere Welt. Und was schließen Sie daraus, Brick?
    Ich kann Ihnen nicht folgen.
    Es gibt nicht nur eine Wirklichkeit, Corporal. Es gibt viele Wirklichkeiten. Es gibt nicht nur eine Welt. Es gibt viele Welten, und sie alle existieren nebeneinander, Welten und Antiwelten, Welten und Schattenwelten – jede von ihnen wird in einer anderen Welt erträumt oder phantasiert oder von jemandem aufgeschrieben. Jede Welt ist die Schöpfung eines Geistes.
    Sie reden fast schon wie Tobak. Er behauptet, der Krieg finde im Kopf eines Mannes statt, und wenn dieser Mann beseitigt würde, wäre der Krieg vorbei. Das ist so ziemlich das Idiotischste, was ich je gehört habe.
    Tobak mag nicht der klügste Soldat sein, aber er hat Ihnen die Wahrheit gesagt.
     
    Wenn ich Ihnen etwas so Verrücktes glauben soll, verlange ich einen Beweis.
    Na schön, sagt Frisk und klatscht mit den Handflächen auf den Tisch, wie wär’s damit? Ohne ein weiteres Wort greift er mit der Rechten unter seinen Pullover und zieht ein Foto aus der Hemdtasche. Das ist der Schuldige, sagt er und schiebt ihm das Bild über die Tischplatte hin.
    Brick wirft nur einen kurzen Blick darauf. Es ist ein Farbfoto von einem Mann Ende sechzig oder Anfang siebzig, er sitzt in einem Rollstuhl vor einem weißen Landhaus. Ein ausgesprochen sympathisch aussehender Mann, wie Brick bemerkt, mit borstigem grauem Haar und verwittertem Gesicht.
    Das beweist überhaupt nichts, sagt er und schiebt Frisk das Foto wieder hin. Das ist ein Mann. Bloß irgendein Mann. Vielleicht Ihr Onkel, was weiß ich.
    Sein Name ist August Brill, hebt Frisk an, aber Brisk unterbricht ihn, ehe er fortfahren kann.
    Tobak hat etwas anderes gesagt. Ihm zufolge heißt der Mann Blake.
    Blank.
    Mir doch egal.
    Tobak ist über die neuesten Ermittlungen nicht auf dem Laufenden. Blank war lange Zeit unser Hauptverdächtiger, aber schließlich haben wir ihn von der Liste gestrichen. Brill ist der Richtige. Das wissen wir jetzt genau.
    Dann zeigen Sie mir die Geschichte. Greifen Sie in Ihre Tasche, holen

Weitere Kostenlose Bücher