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Mann im Dunkel

Mann im Dunkel

Titel: Mann im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Blut von seinem Gesicht waschen, sich den Bauch vollschlagen, falls und wenn sein Appetit wiederkäme.
    So bescheiden diese Pläne auch sein mögen, sie werden durchkreuzt, sobald er das Haus verlässt und auf den Bürgersteig tritt. Unmittelbar vor ihm, die Arme verschränkt und den Rücken an die Tür eines Armeejeeps gelehnt, steht Virginia Blaine und mustert ihn mit angewiderter Miene.
    Keine krummen Touren, sagt sie. Du hattest es mir versprochen.
    Virginia, antwortet Brick und stellt sich nach Kräften dumm, was machst du denn hier?
    Ohne darauf einzugehen, schüttelt die ehemalige Königin von Miss Blunts Geometriestunden den Kopf und faucht: Wir waren gestern um halb sechs verabredet. Du hast mich versetzt.
    Da war plötzlich was, ich konnte mich noch in letzter Minute aus dem Staub machen.
    Du meinst, plötzlich war ich da, und du bist weggelaufen.
    Da ihm dazu nichts einfällt, bleibt er stumm.
    Du siehst nicht gerade blendend aus, fährt Virginia fort.
    Ja, das kann ich mir denken. Ich bin zusammengeschlagen worden.
    Du solltest besser auf deinen Umgang achten. Dieser Rothstein ist ein übler Zeitgenosse.
    Welcher Rothstein?
    Duke. Mollys Freund.
    Du kennst ihn?
    Er arbeitet für uns. Er ist einer unserer Besten.
    Er ist ein Tier. Ein sadistischer Widerling.
    Das war alles nur gespielt, Owen. Um dir eine Lektion zu erteilen.
    Ach?, schnaubt Brick aufgebracht. Und was für eine Lektion sollte das sein? Der Mistkerl hat mir einen Zahn ausgeschlagen.
    Du kannst froh sein, dass er sie dir nicht alle ausgeschlagen hat.
    Zu gütig, murmelt Brick bitter, und dann schießt ihm unversehens das letzte Kapitel seines Traums durch den Kopf: die Uramerikanische Zahnklinik, Flora und die Zange, das neue Gesicht. Immerhin, denkt Brick, als er die Platzwunde an seiner Wange betastet, das neue Gesicht hab ich ja jetzt. Dank Rothsteins Faust.
    Du kannst nicht gewinnen, sagt Virginia. Egal, wo du hingehst, du stehst immer unter Beobachtung. Du wirst uns niemals entkommen.
    Das glaubst auch nur du, sagt Brick, der noch nicht bereit ist nachzugeben, im Innern aber weiß, dass Virginia recht hat.
    Ergo, mein lieber Owen, ist es mit diesem kleinen Intermezzo jetzt vorbei, kein Herumtrödeln und Versteckspielen mehr. In den Jeep mit dir! Es wird Zeit, dass du mit Frisk redest.
    O nein, Virginia. Ich kann weder schnell noch langsam, ich kann jetzt überhaupt nicht mitkommen. Ich habe eine blutende Wunde im Gesicht, meine Eier tun höllisch weh, und ich spüre jeden einzelnen Muskel in meinem Leib. Ich muss mich erst mal zusammenflicken. Dann rede ich mit deinem Mann. Aber lass mich vorher wenigstens ein Bad nehmen, verdammt.
    Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs zeigt Virginia ein Lächeln. Armes Baby, sagt sie und klimpert mitleidig mit den Wimpern, aber ob diese plötzliche Anteilnahme echt oder gespielt ist, bleibt Brick ein Rätsel.
    Bist du auf meiner Seite oder nicht?, fragt er.
    Steig ein, sagt sie und tätschelt die Tür des Jeeps. Natürlich bin ich auf deiner Seite. Ich fahre dich zu meinem Haus, da werden wir dich verarzten. Es ist noch früh. Lou kann ein bisschen warten. Solange du ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit triffst, ist alles in Ordnung.
    Halbwegs beruhigt humpelt Brick zum Jeep und hievt seinen geschundenen Leib auf den Beifahrersitz, während Virginia neben ihm ans Steuer rutscht. Kaum hat sie den Motor angelassen, setzt sie zu einem langwierigen, umständlichen Vortrag über den Bürgerkrieg an; offenbar fühlt sie sich verpflichtet, ihn über die geschichtlichen Hintergründe des Konflikts aufzuklären. Das Problem ist nur, dass Brick ihr in seinem derzeitigen Zustand nicht folgen kann, zumal jedes Schlagloch und jeder Höcker auf den von Schlaglöchern und Höckern übersäten Straßen von Wellington ihm immer neue Schmerzen durch den Körper jagen. Noch schlimmer wird alles dadurch, dass Virginias Stimme im Lärmen des Motors fast vollständig untergeht; um überhaupt etwas zu verstehen, muss Brick bis an die Grenzen seiner Kräfte gehen, die ohnehin schon eingeschränkt, wenn nicht gar komplett ausgeschöpft sind. Mit beiden Händen an den Sitz geklammert, die Schuhsohlen fest auf den Boden gepresst, um die Stöße der Karosserie so gut es geht abzufedern, hält er die Augen während der ganzen zwanzigminütigen Fahrt geschlossen, und von den tausend Fakten, die zwischen Mollys Wohnung und Virginias Haus auf ihn niederprasseln, behält er immerhin so viel: Die Wahl zweitausend … unmittelbar

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