Mann mit Anhang
Vierteljahrhundert kannte. Damals, als
ihre Freundschaft begann, war Ronald noch ein junger Dachs gewesen, und
Uckermann hatte kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag gestanden und sich durch
seine Bilder, die längst den Weg in die internationalen Salons gefunden hatten,
bereits einen Namen gemacht.
»Ich habe Goggis zukünftigem
Mann nahegelegt, er soll das Aufgebot bestellen«, sagte der Freund ohne
Einleitung, als er mit Ronald in die Wohnstube eintrat. »Magst du?« Er griff
zur Whiskyflasche und füllte zwei Gläser. »Wann ist sie gestern eigentlich nach
Hause gekommen?«
»Gestern überhaupt nicht. Heute
früh gegen vier Uhr. Mit irgendeinem Schweizer.«
»Eben.« Uckermann kippte sein
Glas in einem Zug. »Wir müssen sie unter die Haube bringen. Ich bin nicht für
die freie Liebe, ich bin für eine richtige Ehe.«
»Mit diesem Orlano?«
»Ich habe mir den Burschen
angesehen. Er ist grundanständig, ein bißchen weich vielleicht, aber hart wird
er ganz von selbst. Außerdem sage ich ihm eine Zukunft voraus, ich habe eine
gute Nase dafür. Und er liebt Goggi, und Goggi liebt ihn. Was willst du denn
noch mehr?«
Ronald nickte. Ja, was wollte
man mehr. Er trank seinen Whisky in kleinen, bedächtigen Schlucken. »Darf ich
meinen Rock ausziehen, ja? Es ist entsetzlich heiß.« Er ließ sich auf die
Eckbank nieder und strich nachdenklich mit der Hand über die abgegriffene alte
Holzplatte des Tisches, an dem schon so mancher schwerwiegende Entschluß von
Paul Uckermann getroffen worden war. »Hier an diesem Tisch hast du schon mal
eine Ehe gestiftet, weißt du es noch?«
Uckermann ließ sich Zeit mit
der Antwort. »Ja, ich weiß. Deine Ehe!« Er stemmte die Arme gegen den Tisch und
sagte: »Goggi soll heiraten und dann ihre Kinder kriegen. Ich möchte mit ihr
keine moralische Pleite erleben. Sie hat heißes Blut. Sie ist wie ich.«
Ronald gab es einen leichten
Stich, wie immer, wenn von Goggis Herkunft die Rede war. Er hätte es so gern
vergessen. Goggi war das Kind, das er liebte, das einzige, das er besaß. War es
nicht völlig gleichgültig, daß sie nicht seine leibliche Tochter war? Er hatte
sich ein größeres Recht auf sie erworben als mancher Vater.
»Weißt du, ich habe daran
gedacht, ihr alles zu sagen«, brummte Uckermann. Während er sprach, hielt er
den Kopf gesenkt und säbelte an dem riesigen Laib Brot herum.
»Warum?«
Uckermann legte das Brot weg
und hielt das Messer wie eine Fackel feierlich hoch. »Die Stimme des Blutes,
mein Freund. Hast du noch nie was davon gehört? Es täte mir wohl, den Arm um
sie zu legen und zu sagen: Weißt du auch, wer ich bin? Ich bin dein Großvater.«
Mitten in sein Pathos hinein
brach Ronald in Lachen aus. »Nimm es mir nicht übel, aber wenn du dramatisch
wirst, kann kein Mensch ernst bleiben.«
Uckermann schlug sich mit der
Faust auf die mächtige Brust. »Du glaubst wohl, ich spüre nichts da drin.«
»Doch. Aber ich spüre
genausoviel da drin«, erwiderte Gutting trocken. »Ich habe Goggi von ihrem
ersten Schnaufer an gekannt und liebgehabt. Wir wollen uns nicht darum
streiten, wer sie mehr liebt und wer ein größeres Anrecht auf sie hat, denn wie
wir sehen, läßt sie uns ja alle beide sitzen.«
Uckermann biß in eine dicke
Scheibe Bauernbrot und zerkaute sie gelassen. Dann trank er von seinem Bier und
wischte sich den Mund mit dem Handrücken. »Wenn ich Georgs Mutter geheiratet
hätte, wenn ich nicht zu feig und zu eitel gewesen wäre, eine Kellnerin als
meine Frau heimzuführen —«
»Ich weiß«, winkte Ronald ab.
Er kannte diese Selbstanklage des alten, eigenwilligen Mannes. Sie endete meist
mit einer Flut wilder Verwünschungen gegen die Gesellschaft und ihre verlogene!
Moral.
Ronald sprach nicht gern über
diese Dinge. Was geschehen war,; war geschehen. Er trank sein Glas Whisky leer
und setzte es mit hartem Griff zurück auf den Tisch mit den tausend
Messerkerben und Schrunden, an dem vor zweiundzwanzig Jahren das Schicksal von
Margot und ihrer damals noch ungeborenen Tochter, aber auch sein eigenes
Schicksal und das von Jeannette entschieden worden war. Drei Jahre, nachdem
Georgine, das Kind seines Freundes Georg Renk, an dessen Tod er sich die Schuld
zuschob, zur Welt gekommen war, starb Margot an einer bösartigen Diphtherie. Er
war wieder frei, aber Jeannette blieb unerreichbar für ihn. Sie war die Frau
eines Kunsthändlers in New York geworden. Die anderen Frauen, die später seinen
Weg gekreuzt hatten, zählten nicht.
Paul
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