Mann mit Anhang
Halbwüchsige in Blue jeans und zwei alte Damen unter einem merkwürdig
steifen Sonnenschirm.
»Woraus schließt du, daß der
Eidgenosse Francesca mag?« fragte er. Er blickte kritisch zu seiner schönen
Schwester hinüber. Sie hatte Enricos volles Kinn und auch die kurze,
schmalrückige Nase mit den weiten Nasenflügeln, die an die Nüstern eines
Pferdes erinnerten.
»Siehst du denn nicht, wie er
tanzt? Wenn Herr Hüsli aus Montreux so tanzt, dann weiß man genug«, stellte
Goggi fest.
Nico ließ ihre Hand, die er
gehalten hatte, los. »Du weißt über diesen Herrn sehr gut Bescheid. Ist er
wirklich nur ein Geschäftsfreund deines Vaters?«
Goggi spielte nachdenklich mit
dem perlmutt-lackierten Nagel ihres Daumens. »Ich muß dir was gestehen, Nico:
ich habe dich angelogen. Er ist kein Geschäftsfreund von Papa, er ist eine
Straßenbekanntschaft von mir. Von gestern nacht. Ich hatte einen kleinen
Schwips und wollte ihn in irgendeinem Auto ausschlafen. Und das war sein Auto.«
»Aha.«
»Du und Paul, ihr wart beide so
unausstehlich...«
Sie zog an ihrer Zigarette und
suchte nach einer passenden Formulierung. »Du bist manchmal so stur wie Jacky.
Man müßte dich beim Fell packen können und dich verdreschen. Ich wollte mich
von dir befreien, weißt du.«
»Durch Herrn Hüsli.«
»Ja.«
»Und wie hast du diese
Befreiungsaktion angepackt?«
»Ich ließ mich von ihm küssen.«
Eine unbehagliche Pause
entstand. Goggi drückte ihre Zigarette aus. »Du hast wohl noch nie ein anderes
Mädchen geküßt?«
»Seit ich dich kenne, nicht.«
Nico visierte Berthold Hüsli
mit zusammengekniffenen Augen, als wolle er ihn abschießen. Goggi legte rasch
die Hand auf seinen Arm. »Nicht eifersüchtig sein, Nico. Er küßt nicht
besonders; er ist ein Pfuscher. Vielleicht bringt es ihm deine Schwester bei.«
Nico legte die geballten Fäuste
auf den Umschlag mit den Fotos. »Wenn ich ein reicher Knopf wäre, könnte ich
dich vom Fleck weg heiraten und einsperren und von keinem anderen Mann mehr
anschauen lassen«, knirschte er.
Goggi liebte diese grimmige
Falte, die wie ein drohendes Ausrufezeichen über seiner Nasenwurzel stand. Sie
schmiegte sich an ihn. »Wie werden wir unsere Kinder taufen?«
»Georg und Nicoletta. Oder
Georgine und Nicola. Ich möchte am liebsten nur Söhne haben. Mädchen sind mir
unheimlich, selbst meine Schwestern.«
»Ich werde unsere Kinder
wahnsinnig verwöhnen. Wenn du abends nach Hause kommst, mußt du sie verhauen.
Ich werde das nie tun. Wie werden sie aussehen? Was gibt schwarzes und rotes
Haar?«
»Weiß ich nicht. Vermutlich
Schecken.«
Die Musik hatte aufgehört.
Beide blickten Francesca und Hüsli entgegen, die von der Tanzfläche kamen.
Francescas Gesicht glühte. Sie lachte. »Herr Hüsli ist sehr gelehrig. Er hat
nur wenig Praxis im Tanzen.«
Hüsli wischte sich mit einem
blütenweißen Taschentuch das Gesicht. Er lächelte. »Ich habe eigentlich nur
Praxis im Arbeiten. Ich habe mir nie Zeit genommen, das Leben zu genießen.«
Goggi überlegte, was für eine
Art von Geschäft Berthold Hüsli wohl betreiben möge. Vermutlich reiste er in
Emmentaler Käse oder in Schweizer Batist. Oder er besaß ein Hotel. Sie fragte
ihn rundheraus: »Was arbeiten Sie eigentlich?«
Herr Hüsli lächelte
geheimnisvoll in sich hinein, als sei dort ein zweiter und sehr bemerkenswerter
Hüsli, mit dem er Rücksprache halte. »Mein Vater ist ein Bauer, und ich besitze
einen Verlag. Ich habe ihn aus dem Nichts aufgebaut«, sagte er mit bescheidenem
Stolz. »Einen Verlag für Reisebücher, so eine Art Handbücher für die
phantasielose, aber erlebnishungrige Menschheit.«
Er bot Francesca eine Zigarette
an und sorgte dafür, daß sie zu trinken hatte. Ihre Blicke hingen bewundernd an
seinem gutmütigen Apfelgesicht mit den gescheiten braunen Augen und dem
Stiftkopf. »Unser Vater«, warf sie ein, »hat auch mit ein paar Kisten Obst
angefangen, und jetzt hat er einen riesigen Obstimport.«
Hüsli strahlte. Francescas
Bewunderung tat ihm wohl. »Sehen Sie, ich behaupte, daß man heutzutage die
Leute nicht ohne Anleitung in der Welt herumschicken soll. Die Menschen sind
durch die Hochkonjunktur des Tourismus nahezu immun gegen die Schönheiten der
Erde geworden. Sie reisen heute mit einer größeren Gleichgültigkeit und inneren
Teilnahmslosigkeit von Zürich nach Borneo als vor hundert Jahren von Zürich
nach Basel. Damals wurde noch gereist, verstehen Sie, es wurde gestaunt und
genossen. Es war einfach
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