Mann mit Anhang
Krümel mit dem Handrücken weg. Er hob
den Kopf und setzte das Schaltwerk seines exakten Personengedächtnisses in
Bewegung. »Herr Gutting?« Ronald war in den letzten Jahren drei- oder viermal
im Hotel gewesen, um sich mit Geschäftsfreunden, die dort abgestiegen waren, zu
treffen.
»Haben Sie zufällig ein Zimmer
frei? Zimmer mit Bad?«
Die Miene des Portiers wurde
bedeutsam. »Ein purer Zufall, Herr Gutting. Sie wissen, jetzt ist noch
Hauptsaison. Vor fünf Minuten habe ich eine Absage aus Frankfurt erhalten. Für
wen darf ich das Zimmer buchen?«
»Für mich. Ronald Gutting. Sie
wissen ja.«
Der Portier machte sich über
sein Buch her und begann zu schreiben, als sei nichts Besonderes an dieser
Mitteilung. Er überschlug rasch alles, was er von Gutting wußte. Fabrikant, gut
situiert, verwitwet, in München ansässig. Wozu braucht er ein Hotelzimmer?
»Zimmer 207«, sagte er. »Es
geht aber nur für zwei Nächte, dann ist das Haus wieder voll belegt.«
»Zwei Nächte genügen.«
»Haben Sie Gepäck bei sich?«
»Ja. Draußen im Wagen.«
Der Hotelboy, der die
Kopfbewegung des Portiers auffing, flitzte an Ronalds Seite. Er begleitete ihn
zum Wagen. Als er die Münchner Nummer las, kniff er ein Auge zusammen,
innerlich natürlich. Äußerlich blieb sein Gesicht unbewegt. Im Hotelgewerbe
darf man sich nie anmerken lassen, daß man sich wundert. Der Herr, dem sein
weißer Fox wie ein Schatten folgte, lebte natürlich in Scheidung, oder zum
mindesten war zu Hause >dicke Luft<. Nun war er ausgezogen, die bessere
Hälfte saß daheim und schmollte. Der Rechtsanwalt würde das alles ordnen. Oder
es renkte sich von selbst wieder ein.
»Bring das Gepäck in mein
Zimmer. Ich bin beim Frühstück«, sagte Gutting.
Der Boy blickte ihm
verständnisvoll nach. Er dachte an den Kummer, den er kürzlich mit seinem
Mädchen gehabt hatte. Frauen konnten einem das Leben wirklich sauer machen.
Natürlich auch süß. Sein Mädchen bewies das, wenn sie nicht gerade ihren Rappel
hatte.
Ronald betrat nachdenklich die
Halle. Am Zeitschriftenstand kaufte er sich ein halbes Dutzend Illustrierte und
Zeitungen und kehrte damit an seinen Platz zurück. Die beiden alten
Engländerinnen hatten ihr Frühstück beendet. Sie strickten jetzt und sahen mit
ihren hageren, gegerbten Gesichtern wie altgediente Jockeis aus. Immer noch
sprachen sie von ihrer Königin.
Ronalds Kaffee war inzwischen
kalt geworden. Er tauchte ein Stück Zucker in die Sahne und reichte es Jacky.
Nicht gut für die Zähne, ach, du lieber Himmel! Was alles war nicht gut! Nicht
gut für die Zähne, nicht gut fürs Herz, nicht gut für alternde Papas.
Töchter-Hochzeiten zum Beispiel.
Nico und Goggi frühstückten im
Bett. »Die Muhr wollte persönlich anrücken, aber ich habe es ihr untersagt«,
berichtete Goggi, als sie mit dem Tablett erschien. Sie stellte es auf einen niederen
Tisch neben das Bett und blickte Nico feierlich an. »Nun sind wir ein Ehepaar.«
»Das habe ich gemerkt.« Er
streckte den Arm nach ihr aus. »Bist du sehr unglücklich, daß wir keine
Hochzeitsreise machen können?«
Er hatte wenige Tage vor der
Hochzeit von einer Stuttgarter Werbefirma seinen ersten festen Auftrag
bekommen, der ihn an München band. »In vier Jahren werde ich mich vor Aufträgen
kaum retten können, und wir werden im Geld schwimmen«, sagte er zuversichtlich.
Goggi beugte sich zu ihm
hinunter und küßte ihn. »Dann holen wir unsere Hochzeitsreise nach. Viel!e :r ht
laden wir Papa dazu ein. Er tut mir so leid, wie er jetzt so allein in der Welt
herum= gondelt.«
Sie rückte den kleinen Tisch
mit dem Frühstück ganz dicht ans Bett. »Jemand hat vorhin für Papa angerufen,
Mrs. Bonnard. Sie war sehr verzweifelt, daß Papa weggefahren ist. Die Muhr
erzählte es mir.«
»Wer ist Mrs. Bonnard?«
Goggi lächelte geheimnisvoll.
»Eine Flamme von Papa. Jeannette. Sie stammt noch aus der Zeit, bevor er Mama
heiratete.«
Goggi blickte nachdenklich in
die Ferne. »Ich müßte eigentlich mal mit Paul über Jeannette sprechen. Paul
könnte mir sicher viel erzählen. Paul weiß alles.«
Die Tür zum Bad stand offen und
gab den Durchblick auf den anschließenden kleinen Ankleideraum frei. Außer
diesem Ankleideraum und dem Schlafzimmer gab es noch ein geräumiges Wohnzimmer
mit einem Wintergarten, daneben eine winzige, aber sehr modern eingerichtete
Küche mit einer Durchreiche. Ronald Gutting hatte das alles selbst ausgetüftelt
und die reizende kleine Wohnung nach seinen
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